Ukraine: Mit Kriegswarnungen Krieg verhindern?
Die USA und die Ukraine rechnen offenbar mit einem unmittelbar bevorstehenden Angriff Russlands auf die Ukraine. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte: „Man hat uns gesagt, dass der 16. Februar der Tag des Angriffs sein wird.“ Die USA verlegten ihre Botschaft vorsorglich von Kyjiw nach Lwiw. Kommentatoren erörtern, wie viel an dieser Warnung Strategie ist und wie erfolgreich diese sein könnte.
Erfolgreiche Informationsoffensive
Die Amerikaner unterrichten die Öffentlichkeit, anders als vor der Krim-Annexion, sehr genau, analysiert Die Presse:
„Die Biden-Regierung hat aus den Versäumnissen Barack Obamas gelernt und kontert die enorme Drohkulisse Russlands mit massivem Gegendruck. Nur so lässt sich Putin offenkundig beeindrucken. ... Vor Monaten schon hatten die USA mittels Satellitenaufnahmen angesichts der militärischen Umzingelung der Ukraine Alarm geschlagen, danach [reagiert] mit der Veröffentlichung von Berichten über verdeckte russische Operationen im Donbass und die Produktion von 'Fake-Videos' - sie sollten ... einen Krieg provozieren. Die abgefangene Kommunikation zwischen russischen Militärs über angebliche Angriffsrouten hat die russischen Kriegsherren nun vollends vorgeführt.“
Biden, der Stratege
Gute Chancen räumt La Stampa der US-amerikanischen Diplomatie ein:
„Sollte sich die Bresche in Putins Njet noch ein wenig weiter öffnen, könnte US-Präsident Joe Biden seine Strategie als erfolgreich bezeichnen. ... Eine Mischung aus Dialog mit dem 'Feind' und ständiger Forderung nach muskulöser Abschreckung in Form von Sanktionen, Geheimdienstenthüllungen und Truppenentsendungen. Biden ist Schritt für Schritt vorgegangen, hat die europäischen Verbündeten zusammengeführt, die bevorzugte Dialoglinie mit London wiederhergestellt, die Nato gestärkt, ihr eine Mission mit definierten und traditionellen Konturen gegeben und sogar die Unterstützung namhafter Persönlichkeiten der Republikaner gefunden, was nicht selbstverständlich ist.“
Transparenz verstärkt Putins Machtspiele
Das Vorgehen hat auch Nachteile, analysiert De Volkskrant:
„Die Strategie, so viel Information wie möglich über den russischen Truppenaufbau und böse Pläne bekannt zu machen, setzt in einem altmodischen Stil darauf, das öffentliche Vertrauen zu gewinnen. Aber gerade dieses wertvolle Gut verschwindet schnell aus westlichen Gesellschaften. ... Durch die immer drängenderen amerikanischen Erklärungen über einen möglichen Krieg droht Panik auf der Straße, wird der Luftraum geschlossen, verlassen Touristen das Land und wanken Märkte und Wirtschaft. Alles, was Präsident Putin mit der Ukraine beabsichtigen könnte, Destabilisierung und Untergrabung der Autorität, geschieht, ohne dass überhaupt ein Schuss abgeben wurde.“
Die Zeit arbeitet für den Kreml
Die USA können nicht dauerhaft auf den Alarm-Effekt setzen, meint eldiario.es:
„Seit Wochen oder Monaten gibt die Regierung Biden Warnungen heraus, dass Russland kurz vor einem Angriff der Ukraine stehe. ... Was ist echt und was ist List? Der Gegner soll auf eine nie dagewesene Art und Weise abgeschreckt und ein Überraschungseffekt vermieden werden. ... Putin soll gezwungen werden, seine Kriegsversuche zu stoppen. ... Putin ist für den Zeitplan verantwortlich. Für die Propaganda - mehr, aber nicht allein – die Vereinigten Staaten. Je länger die Krise dauert, desto weniger nützen diese Alarme. ... Wir werden sehen, ob dieser Kampf in einem neuen paneuropäischen Abkommen oder in einer Katastrophe endet.“
Alte Reflexe werden wiederbelebt
Die USA sind in den Schablonen des Kalten Kriegs verhaftet, meint Diário de Notícias:
„Sie haben das alte 'rote Telefon' wiederbelebt. Sie vermitteln den Eindruck, dass es immer noch zwei große Blöcke gibt, die gleichen, die auf den Kalten Krieg zurückgehen. Mit fester Stimme und aus sicherer Entfernung treten die Amerikaner mit der Autorität eines Mannes auf, der die militärische und wirtschaftliche Macht hat, dem ewigen Rivalen aus Osteuropa die Stirn zu bieten. Die USA sind auf globaler Ebene aktiv geworden und haben diplomatische Treffen mit allen ihren Verbündeten abgehalten. Das einzige Ziel: ihren Einfluss geltend machen, um die Unterstützung für 'alles, was auf uns zukommt', zu erhalten.“