Ukraine-Krieg: Wende nur nach totaler Niederlage?

Im Krieg gegen die Ukraine zeigt der russische Präsident keinerlei Einlenken, Frankreichs Präsident Macron fürchtet nach einem Telefonat mit Putin sogar, das Schlimmste stehe noch bevor. Kyjiw spricht nach dem Beschuss des Geländes des Atomkraftwerks Saporischschja von "Nuklearterror" und fordert eindringlich mehr Waffenhilfe. Europäische Kommentatoren fragen, ob eine Wende überhaupt möglich ist.

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Lidové noviny (CZ) /

Dieser Krieg wird sich hinziehen

Lidové noviny macht sich keine Illusionen:

„Große Kriege werden durch technische und materielle Überlegenheit gewonnen. Die ist auf Seite der Russen. Die Frage ist, wie man sich einen solchen Sieg vorstellt. ... Wahrscheinlich nicht mit der Besetzung der gesamten Ukraine und dem Anschluss an Russland. Aber es ist klar, dass Putin auf Unterwerfung unter seine Macht besteht und dass Kyjiw dies niemals tun wird. Dieser Krieg wird sich hinziehen. Aber ein Blick auf die Karte der Bewegung der Fronten, auf den russischen Vormarsch am Schwarzen Meer, macht ziemlich pessimistisch. Wir sollten nicht mit der Rückkehr der ukrainischen Flüchtlinge rechnen, die zu uns kommen.“

La Vanguardia (ES) /

Die nächsten auf der Liste

La Vanguardia hält es für möglich, dass die Nato ihre Mitglieder militärisch verteidigen muss:

„Das Schlimmste wird das von Putin selbst angekündigte Massaker sein, wenn die ukrainische Regierung nicht bedingungslos kapituliert. ... Das Schlimmste wird sein zu wissen, was Putin vorhat, wenn es ihm gelingt, die Ukraine zu besetzen und eine Marionettenregierung einzusetzen. ... Länder wie Georgien, Moldawien und die baltischen Republiken fürchten, die nächsten auf der Liste zu sein. Das Schlimmste ist jedoch, dass die Nato in einem solchen Fall reagieren müsste, um ihre Mitglieder [Estland, Lettland, Litauen] zu verteidigen. ... Die Aussichten sind wirklich düster.“

Gordonua.com (UA) /

Flugverbot jetzt!

Angesichts des russischen Angriffs auf das Atomkraftwerk Saporischschja fordert Gordonua.com ein Flugverbot über der Ukraine und begründet dies so:

„Im Allgemeinen können Kernkraftwerke von Besatzern aus folgenden Gründen ins Visier genommen werden: zur weiteren Verbreitung von radioaktivem Material, zur Unterbrechung der Stromzufuhr, als Druckmittel bei 'Friedensgesprächen'. Und sollten die Besatzer das AKW bei ihrem Rückzug zerstören, kann dies erheblichen Schaden und zusätzliches Chaos verursachen. ... Daher ist eine rasche und starke Reaktion der EU und der Welt erforderlich, um den von Russland begonnenen Krieg zu stoppen und sicherzustellen, dass die militärischen Aktivitäten im Umfeld der AKWs nicht zu einer neuen Katastrophe auf unserem Planeten führen.“

Echo Moskwy (RU) /

Humanitäre Katastrophe abwenden

Über anderes als humanitäre Fragen gibt es keine Verhandlungsgrundlage, schreibt Kommentator Anton Orech in Echo Moskwy:

„Ein Verhandlungsgegenstand, bei dem man real etwas erreichen kann, ist der Austausch von Gefallenen, Verletzten und Gefangenen. Über Gefangene hat unser Verteidigungsministerium bisher nichts gesagt, aber es kann ja nicht sein, dass nach einer Woche der Kämpfe niemand in gegnerischen Händen ist. Auch sind wir nicht blind - es gibt mehr als genug Videos im Netz. Außerdem sprechen beide Seiten jetzt von einer humanitären Katastrophe in den belagerten Städten. Das muss dringend gelöst werden! Der Sinn von Verhandlungen ist also rein humanitär. Wie man sich über andere Dinge einigen könnte, kann ich mir nicht vorstellen.“

Avvenire (IT) /

Putin nicht demütigen

Gerade jetzt muss die internationale Gemeinschaft die Ruhe bewahren, mahnt Avvenire:

„Der Kremlchef hat sich verkalkuliert. Er wurde durch den Widerstand der Ukrainer, die Reaktion des Westens, die Solidarität von Milliarden von Menschen und die Mechanismen der globalen Kommunikation geschwächt. Es wäre ein Fehler, sich jetzt in den Strudel einer Eskalation hineinziehen zu lassen, denn ein totaler Sieg (wie im Zweiten Weltkrieg) gegen eine Atommacht ist nicht möglich. Die Demütigung eines nicht vollständig besiegten Gegners hat katastrophale Auswirkungen, wie sie John M. Keynes nach dem Ersten Weltkrieg aufzeigte und die die Grundlage für die Entstehung des Nazifaschismus bildeten. Jede Steigerung der Aggression seitens des Westens bewegt sich auf einem sehr gefährlichen Grat.“

De Volkskrant (NL) /

Diktatoren in der Falle sind gefährlich

Hat sich Putin vergaloppiert, fragt Volkskrant-Kolumnist Bert Wagendorp:

„Inzwischen werden die Leichensäcke mit russischen jungen Männern drin zurück ins Vaterland transportiert - damit macht man sich keine Freunde. Vielleicht kämpft Wladimir Wladimirowitsch tatsächlich einen bereits verlorenen Kampf. Aber wird er das jemals einsehen? Wie viele Menschen müssen noch sterben? Muss Kyjiw erst ein großes Grosny werden? Wann ist die russische Wirtschaft kaputt genug? Putin hat eine Falle gestellt, ist dort selbst hineingetappt und kann nicht mehr zurück. Das ist gefährlich: Diktatoren, die die drohende Niederlage fühlen, haben die Neigung, wild um sich zu schlagen.“