Hitze und Dürre: Europas neue Normalität
Heftige Waldbrände fressen sich in diesem Sommer von Portugal bis Griechenland durch Südeuropa, Ernten verdorren und bei Temperaturen von bis zu 40 Grad wird das Stadtleben mancherorts unerträglich. Europas Presse sieht Probleme beim Schutz der Wälder und bei der Prioritätensetzung. Was läuft falsch - in der Klimapolitik, in den Medien, aber auch im öffentlichen Bewusstsein?
Im Herbst ist alles wieder vergessen
Der Mensch fühlt sich weder betroffen noch verantwortlich, bis das Feuer vor seiner eigenen Tür steht, kommentiert T24:
„Mit der steigenden Hitze breiten sich Dürre und Waldbrände aus, die üblichen Niederschläge verändern sich und werden immer heftiger. All das interessiert einen Großteil der Welt überhaupt nicht. Der Mensch ist von Natur aus geneigt zu glauben, dass alle Katastrophen, denen er nicht gerade von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, ihn nichts angehen und nicht in der Gegend und zu der Zeit stattfinden, in der er selbst lebt. Aus diesem Grund werden die Waldbrände gleich wieder vergessen sein, sobald der Sommer vorbei ist.“
Brandgebiete müssen fürs Bauen tabu sein
Das Webportal Imerodromos findet es eine Schande, dass abgebrannte Waldgebiete als Bauland verkauft werden dürfen, und fordert ein strenges Gesetz:
„Es wird dieselbe kriminelle Politik der Waldvernichtung umgesetzt, die zu Millionen Hektar verbrannten Wäldern, Hunderten toter Bürger, Dutzenden toter Feuerwehrleuten und tausendfach zerstörtem Eigentum geführt hat, aber von denjenigen, die regieren und seit Jahrzehnten regiert haben, hat nie jemand gesagt: 'Es ist verboten, in verbrannten Arealen Land zu kaufen.' Das sind sechs Worte [auf Griechisch]. ... Wenn sie gegen Brandstifter, gegen Landräuber, für Wälder, für die Umwelt und für vernünftige Verwaltung sind, wie kommt es dann, dass keiner von ihnen je daran dachte, diese sechs Worte in ein Gesetz aufzunehmen?“
Das Fernsehen führt die falsche Debatte
Der TV-Journalismus fördert Unwissen und Tatenlosigkeit bezüglich des Klimawandels, kritisiert Kunsthistoriker André Gunthert in seinem Blog auf Mediapart:
„Das Fernsehen kehrt die Analyse der Ursachen systematisch unter den Teppich des Fatalismus und reduziert die Antwort auf das Ereignis, auf die Bewältigung der Notlage oder Litaneien des 'richtigen Verhaltens'. Es ist heiß? Trinken Sie ausreichend, halten Sie sich im Schatten auf und nutzen Sie die Hitze zum Eisessen. … Die derzeitigen Sommer sind nur ein netter Scherz im Vergleich zu denen, die uns in einigen Jahrzehnten erwarten. Studien zeigen, dass ein Großteil der Zuschauer sich dessen bewusst ist. Die Medien haben keine andere Wahl, als sich dem Niveau der Debatte anzupassen. Und zwar schnell!“
Stattdessen fördert man Klimakiller
Für die Politik gibt es immer vermeintlich dringendere Probleme zu lösen, kritisiert der Soziologe Eric Klinenberg in Libération:
„In dieser Woche, in der Europa auf dem Grill liegt, beschäftigen sich führende Politiker nicht mit der Dekarbonisierung unseres Lebensstils, sondern mit genau dem Gegenteil: mit Preissenkungen für Benzin, Strom, Reisen und Fleisch! Wir haben heute nur eine Option: Wir müssen uns an die Gefahren, die vom Klima ausgehen, anpassen. Helfen würden Investitionen in eine widerstandsfähige Infrastruktur: bessere Stromnetze, begrünte Dächer, Systeme zum Hochwassermanagement und – besonders wichtig - erschwinglicher und nachhaltiger Wohnraum.“
Polizei muss handeln
Während der Waldbrandsaison dürfen polizeibekannte Brandstifter nicht frei herumlaufen, meint Correio da Manhã:
„Die Ursachen [der Brände] sind seit Jahren bekannt, von der fehlenden Säuberung der Wälder über die Verödung des Landesinneren bis zu einer fragwürdigen Wiederaufforstungspolitik. … Es gibt jedoch einen Punkt, bei dem unverzüglich gehandelt werden muss. Der Polizei liegen Profile von 700 Brandstiftern vor. Da ein Großteil der Brände von krimineller Hand verursacht werden, scheint es doch gesunder Menschenverstand zu sein, dass diese Personen in den Sommermonaten nicht frei herumlaufen können, da sie eine Gefahr für die Gesellschaft bedeuten.“
Private Wälder gemeinsam verwalten
Die Regierung müsse in vernachlässigten privaten Wäldern agieren dürfen, fordert Universitätsprofessor António Heitor Reis in Público:
„Die Gesetze setzen voraus, dass die Eigentümer eine aktive Rolle in der Bewirtschaftung ihrer Wälder spielen. Der Grund, warum diese Gesetze ihre Ziele verfehlen, ist, dass fast immer der Eigentümer entweder verstorben ist und die Erben weit entfernt oder nicht aufzufinden sind oder er alt ist und keine Ressourcen hat, das Land zu pflegen. ... Ich schlage vor: Der Staat soll die Grundstücke gemeinsam verwalten und Maßnahmen für deren Bewirtschaftung erstellen. ... Sonderkonditionen sollten gewährt werden, wenn sich jemand entscheidet, im Rahmen einer definierten Forstpolitik in den Wald zu investieren, den lokalen Forstsektor zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen.“
Vernachlässigung ganzer Regionen rächt sich
Die verheerenden Waldbrände in Portugal von 2017 drohen sich zu wiederholen, schreibt Correio da Manhã:
„Die Wetterbedingungen diese Woche begünstigen die Ausbreitung der Brände mit Temperaturen über 30 Grad, starkem Wind und fast keiner Luftfeuchtigkeit. Aber sie ließen sich vermeiden - würden die Regionen im Landesinneren nicht zunehmend aufgegeben und vergessen. ... Fünf Jahre nach der Apokalypse von 2017 wurde wenig getan. Es gab viele gut gemeinte Gesetzesänderungen, aber die Region ist noch menschenleerer geworden, und der wiedergewachsene Wald wartet auf neue Tragödien. Die Politik ist jetzt in Alarmbereitschaft, aber im Herbst, Winter und Frühling kümmert sich niemand um das Landesinnere. Die Feuer werden erst kontrolliert, wenn die Region wirtschaftlich wichtig wird. “
Italien muss Milliarden investieren
Konsequentes Umsteuern in Rom fordert die taz:
„Italien muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass Wasser im Überfluss vorhanden ist, dass man auf den Feldern nur die Berieselungsanlagen anwerfen, dass man zu Hause nur den Wasserhahn aufdrehen muss, und schon strömt das Nass. Wasser ist ein ebenso knappes wie kostbares Gut. Neue Stauseen anlegen, das marode Leitungsnetz, in dem 40 Prozent des Trinkwassers verloren gehen, sanieren, das gereinigte Wasser aus den Kläranlagen nicht mehr einfach ins Meer kippen: Italien steht vor Milliardeninvestitionen, die es schnell in Angriff nehmen muss, wenn es in Zukunft nicht jeden Sommer auf dem Trockenen sitzen will.“
Wir können uns der Realität anpassen
Es gäbe einfache Wege, heiße Perioden erträglicher zu machen, meint Umweltjournalist César-Javier Palacios in 20 Minutos:
„Neue Hitzewelle, neues Leid. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, denn der Klimawandel ist Realität. ... Es gibt zwei einfache Lösungen: die Uhr zurückdrehen und unsere Städte grüner machen. ... Die Abweichung der offiziellen Zeit von der Sonnenzeit hat zur Folge, dass auf dem spanischen Festland der Höhepunkt der Hitze erst am späten Nachmittag erreicht wird, zwischen 17 und 19 Uhr. ... Würden wir nach der Weltzeit oder der Sonnenzeit zu Bett gehen, blieben uns ein paar Grad Wärme erspart und wir würden besser schlafen. Und Bäume, Millionen von großen, unbeschnittenen Bäumen brauchen wir. Wussten Sie, dass es unter ihnen bis zu 15 Grad kühler sein kann?“
Die Katastrophen sind transnational
Der Klimawandel trifft den Süden Europas härter, deswegen ist die EU dringend gefordert einzugreifen, drängen die Wissenschaftler Klaas Lenaerts, Simone Tagliapietra und Guntram Wolff vom Think-Tank Institut Bruegel in Le Monde:
„Eine EU-weite Anpassungspolitik ist auch notwendig, weil Katastrophen und deren Prävention häufig transnational sind. Flüsse, die durch mehrere Länder fließen, müssen gemeinsam gemanagt werden, wie im Fall von Trockenheit oder Überschwemmung. Die EU hat bereits gewisse Kompetenzen in diesen Bereichen, beispielsweise in Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raums. … Die Folgen des Klimawandels und die geringe Anpassungsfähigkeit der Länder werden innerhalb der EU spürbar und könnten eine klimatische Bruchlinie schaffen, welche die politischen Spannungen verschärft.“