Wie wirkt sich die Energiekrise auf Europa aus?
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am heutigen Mittwoch in ihrer Rede zur Lage der Union Vorschläge gemacht, wie die Folgen der steigenden Strompreise zu lindern sind. So sollen etwa Energiekonzerne sogenannte Übergewinne abgeben müssen oder Mitgliedstaaten zum Stromsparen verpflichtet werden können. Kommentatoren diskutieren die Zweckmäßigkeit solcher Forderungen.
Einzelgänge vermeiden
Von der Leyen tut gut daran, die Länder zum Stromsparen zu zwingen, findet Renato Brunetta, Minister für öffentliche Verwaltung der scheidenden Draghi-Regierung, in Corriere della Sera:
„Der Winter naht, die Zeit wird knapp und der Egoismus wächst. Wir müssen das 'Gefangenendilemma' vermeiden, das die ersten Wochen der Pandemie im Jahr 2020 kennzeichnete, als Panik über rationale Entscheidungen siegte und gemeinsame Lösungen behinderte. ... Dringende Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs und zur weiteren Unterstützung von Familien und Unternehmen müssen mit einem Investitionsplan nach dem 'Modell Next Generation EU' und im Zuge von 'Repower EU' zur Finanzierung der Energieautonomie mit neuen Pipelines und Regasifizierungsanlagen verbunden werden.“
Wohlfahrtsstaat darf nicht überborden
Hospodářské noviny beklagt, dass Tschechien durch einen Preisdeckel für Strom und Gas in die falsche Richtung driftet:
„Wir haben uns unter dem Einfluss der Populisten daran gewöhnt, dass der Staat alles lösen sollte. ... Niemand fragt mehr, was er für sein Land tun kann, jeder fragt nur noch, was sein Land für ihn tun kann. Unbemerkt fand hier eine Neudefinition des Wohlfahrtsstaats statt. Es geht nicht mehr darum, dass der Staat die Schwächsten vor dem Absturz in die Armut schützt. Es geht darum, für das Wohl aller zu sorgen. In diesem Sinne ist absolut jeder ein Sozialfall. ... Was wirklich eine Warnung ist, denn eine Gesellschaft mit einer solchen Mentalität und ein Staat mit einer solchen Politik sind nicht nachhaltig.“
Arbeitsstellen sind bedroht
Die Energiekrise wird die Wirtschaft Europas hart treffen, fürchtet Magyar Nemzet:
„Dass etwa 30 öffentliche Schwimmbäder in Frankreich geschlossen wurden, kann man noch ertragen. Alarmierender ist das jüngste Warnsignal des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der klargemacht hat, dass der Anstieg der Energiepreise für die deutsche Industrie eine grundlegende Bedrohung darstellt. ... Wenn der stärkste Wirtschaftsmotor der EU ins Stocken gerät, werden sich die Folgen auch auf andere Mitgliedstaaten auswirken. Abgesehen davon, dass nicht nur die deutschen Unternehmen eine astronomische Summe für Energie bezahlen müssen. ... Dies zeichnet den Weg für Entlassungen vor.“
Neues Europa der zwei Geschwindigkeiten
Forderungen der neuen EU-Mitgliedstaaten nach mehr politischem Engagement auf der Weltbühne nehmen plötzlich Fahrt auf, bemerkt IQ:
„Es wird seit einigen Jahren darüber gesprochen, dass die EU sich aktiver in die Geopolitik einbringen soll, sich nicht nur auf Soft Power verlassen und immer nur 'ernste Besorgnisse' äußern soll. Die Reaktion der Gesellschaften und Politiker der ost-, mittel- und nord-europäischen Länder auf den Krieg in der Ukraine (von der Unterstützung Kyjiws bis zur Stärkung seiner Verteidigungsfähigkeiten) zeigt, dass diese EU-Länder den Kern des geopolitischen Europas bilden. Und zur 'zweiten Klasse' gehört mit Deutschland und Frankreich nun Westeuropa. Das ist das neue Europa der zwei Geschwindigkeiten.“