Ukraine-Krieg: Kommt jetzt die Diplomatie zum Zug?
Erstmals seit Beginn des Ukraine-Kriegs haben sich die Chefs der Auslandsgeheimdienste der USA und Russlands, Bill Burns und Sergej Naryschkin, in Ankara getroffen, um sich zu Fragen zur Verhinderung eines Atomkriegs auszutauschen. Kommentatoren spekulieren darüber, worum es bei dem Treffen noch gegangen sein könnte.
Hinter den Kulissen reift eine Friedensformel
Radio Kommersant FM spekuliert mit:
„Verschiedene Versionen von geheimen Gesprächen werden diskutiert. Die populärste davon ist die so genannte Jake-Sullivan-Formel: Der Berater des US-Präsidenten ist angeblich der Urheber eines Kompromisses im Rahmen eines großen Deals zwischen Russland und dem Westen. Im Wesentlichen geht es dabei darum, unter bestimmten Bedingungen einen Frieden in der Ukraine zu erreichen und dann die Spielregeln im Rahmen der neuen Realität festzulegen. Es wird vermutet, dass die USA Druck auf Kyjiw ausüben, um dessen Forderungen zu dämpfen. Andernfalls könnte die westliche Hilfe reduziert werden.“
Strategen arbeiten auf Hochtouren
Die Tageszeitung România liberă beschreibt, wie ein Friedenskonzept aussehen könnte:
„Hinter den Kulissen arbeiten amerikanische und russische Fachleute an unterschiedlichen Vertragsformaten. ... Putin zieht seineTruppen von der anderen Seite des Dnipro ab und erlaubt dem von Russland besetzten Kraftwerk von Saporischschja, der Ukraine Strom zu liefern. Im Gegenzug wird Russland bekommen, wonach es sich sehnt: Donezk und Luhansk, aber ohne offizielle Anerkennung. Ein stillschweigendes Abkommen. Auf diese Weise würden die amerikanischen Strategen Selenskyj raten, die Abgabe der östlichen Territorien zu genehmigen und im Gegenzug Garantien zu bekommen, dass die Ukraine nicht in ihrer Gesamtheit überfallen würde.“
Kyjiw dementiert Zugeständnisse
Lietuvos rytas erinnert daran, dass die Ukraine bislang jegliche Lösung ablehnt, die nicht den kompletten Rückzug der russischen Truppen einschließt:
„Man spekuliert, Washington und Moskau haben ausgehandelt und zwangen Kyjiw zu akzeptieren, dass die Ukraine mit Russland an den Verhandlungstisch kommen würde, nachdem sie von Russland ein solches 'Zugeständnis' [den Rückzug aus Cherson] erhalten hatte. ... Kyjiw hat solche Gespräche jedoch kategorisch dementiert und geschworen, dass es seine Offensive bis zur vollständigen Befreiung der Krim und des Donbas fortsetzen wird, während der Westen und die USA ihre Unterstützung fortsetzen.“
Im Geheimen wird Klartext geredet
Während die Welt nach Bali schaut, wurde in Ankara - beim Treffen zwischen CIA-Chef Bill Burns und seinem russischen Amtskollegen Sergej Naryschkin - Tacheles geredet, vermutet La Repubblica:
„Burns ist Bidens Vertrauensmann für schwierige Missionen, auf den sich der Präsident verlässt, wenn es um eine Alternative zur offiziellen Diplomatie des Außenministers Antony Blinken geht. Er war von 2005 bis 2008 Botschafter in Moskau, wo er zuvor als Botschaftsrat tätig war. Er spricht fließend Russisch und kennt Putin sehr gut. Er war daher der richtige Mann, um Naryschkin (einer der wenigen, denen der Zar vertraut) eine harte und deutliche Warnung zu überbringen: Wagt es nicht, die taktische Atombombe einzusetzen, denn sonst werden wir euch vernichten.“
Über den Zeitpunkt entscheidet die Ukraine
Sobald Kyjiw den Startschuss gibt, ist die richtige Zeit für Friedensverhandlungen gekommen, meint El País:
„In Washington und Brüssel hat man erkannt, dass die Zeit für Verhandlungen gekommen ist. Die Ukraine steckt mitten in einer Gegenoffensive. ... Der Westen ist sich einig, was den Zeitpunkt des Treffens mit Putin angeht: Nicht Washington oder Brüssel entscheiden über den Zeitpunkt und die Bedingungen, sondern die rechtmäßige Regierung der souveränen Ukraine mit der Unterstützung ihres Parlaments. Sie brauchen beim Aufbau des Friedens die gleiche Solidarität und Unterstützung, die ihre europäischen und amerikanischen Verbündeten jetzt im Krieg leisten.“
Fakten werden auf dem Schlachtfeld geschaffen
Õhtuleht bezweifelt die Chancen der Diplomatie:
„Das Gerede von der Möglichkeit, den Krieg Russlands gegen die Ukraine mit Hilfe von Diplomatie zu beenden, löst nur ein sarkastisches Lächeln aus. Die Geschichte kennt keinen Fall, wo Diplomaten einen Krieg beendet hätten. Das gab es nie, gibt es jetzt nicht und wird es nie geben. Das Ergebnis jedes Krieges wurde immer, wird jetzt und in Zukunft auf dem Schlachtfeld entschieden. Die Diplomaten formulieren das Ergebnis des Krieges auf dem Papier. Das gilt auch für den jetzigen Krieg zwischen Russland und Ukraine. Dieser Krieg kann nur mit der Niederlage einer Seite enden.“