McCarthy scheitert weiter: Chaos im Abgeordnetenhaus
Nach elf Wahlgängen immer noch kein Sprecher im US-Repräsentantenhaus: Das ist das Ergebnis einer Blockade von 20 Republikanern, denen der Kandidat ihrer Partei, Kevin McCarthy, zu moderat ist. Auch eine Aufforderung von Ex-Präsident Trump, McCarthy doch zu wählen, fruchtete bei den sogenannten Never-Kevins nicht.
Demokraten könnten das Patt beenden
Die Demokraten sollten zu einer Lösung beitragen, findet Financial Times:
„Wenn selbst bei der Wahl des Sprechers ein solches Chaos entsteht, welche Hoffnung besteht dann, dass es eine funktionierende Legislative gibt, wenn endlich doch ein Sprecher gewählt wird? Das sollte den Demokraten zu denken geben. Sicher, sie stehen - im Vergleich zu den wie die Kesselflicker zankenden Republikanern - wie eine kompetente Partei da. Aber bei aller demokratischer Schadenfreude: Es liegt in ihrer Macht, diese Pattsituation zu durchbrechen, indem sie sich hinter einen gemäßigten republikanischen Kandidaten stellen, mit dem sie zusammenarbeiten könnten, obwohl sie die Mehrheit im Repräsentantenhaus verloren haben. Ansonsten würde Stillstand Bidens Reformprogramm auf Eis legen.“
Die Republikaner müssen weg vom Populismus
El Mundo fordert eine neue Führung bei der Grand Old Party:
„McCarthy wurde zum Sündenbock für den relativen Misserfolg bei den Zwischenwahlen. ... Diese etwa 20 Mitglieder des Kongresses tun alles, um den Rest der Legislaturperiode zu sprengen. ... Ihr Zerstörungswille zeigte sich am Mittwoch, als sie sich gegenüber Trumps Ordnungsruf taub stellten. ... Die Republikanische Partei braucht dringend eine neue Führung, um sich vom Populismus abzuwenden und zu ihren demokratischen Wurzeln zurückzukehren.“
Angst vor dem Wähler lähmt die Politik
Der erbitterte Kampf in den USA sollte Belgiens Parteien eine Lehre sein, mahnt De Morgen:
„Mit der [2024 anstehenden] Wahl immer deutlicher in Sicht werden die Parteien immer weniger bereit sein, über ihren Schatten zu springen und eine schwierige Entscheidung zu treffen. Jeder Abstrich am Parteiprogramm könnte sich an der Wahlurne rächen. ... Politik wird reduziert auf ein Strategiespiel und das Verteidigen des eigenen Gärtchens. Diese Logik lähmt das politische Geschäft seit Jahren. Zu viele Probleme bleiben zu lange liegen, weil sich zu viele Politiker mehr um die Wahrnehmung und 'ihre Anhänger' sorgen als um die Frage, was das Land langfristig braucht. Am Ende reiben sich die extremen Parteien die Hände.“
Kindische Zerstörungswut
Die Never-Kevin-Bewegung findet The Economist nichts als destruktiv:
„Ohne einen Sprecher kann keine Gesetzgebung vorankommen und können keine neuen Mitglieder vereidigt werden. Vorübergehend bleibt das Volk deshalb ohne Repräsentanten. Es ist ein drastischer Schritt, den die Never-Kevins gehen. Aber warum machen sie das? Sicher nicht, weil sie gegen McCarthys vorgeschlagene Agenda sind. Sein vor den Zwischenwahlen im November 2022 veröffentlichtes 'Engagement für Amerika' dürfte kaum eine Postkarte mit Vorschlägen füllen, die in der Entscheidungsmacht des Kongresses liegen. Auch haben die Never-Kevins selbst gar keine richtige Agenda. Stattdessen wollen sie anscheinend einfach das Spielzeug kaputt machen, damit niemand sonst mehr damit spielen kann.“
Radikale haben großes Erpressungspotenzial
Angesichts dieses Desasters gibt es reichlich Grund zur Sorge, meint Hospodářské noviny:
„Viele amerikanische Kommentatoren haben bisher argumentiert, dass das Gewicht der Extremisten nicht groß sein wird. Jetzt sieht das anders aus. Die Trump-Radikalen haben bewiesen, dass sie mit einer schwachen republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus ein enormes Erpressungspotenzial haben. Und der Appetit wächst mit dem Essen. Die heutigen Extremen unter den amerikanischen Republikanern sind eine unangepasste, unberechenbare politische Gruppe. Sie verkörpern eine ungewisse, gefährliche Unberechenbarkeit für die freie Welt.“
Einigkeit ist das Gebot der Stunde
Das interne Gezanke schadet nicht nur der Partei selbst, betont auch Aamulehti:
„Jetzt sollte Schluss sein mit den Intrigen. Auch wenn all dies weit weg geschieht, so hat es doch weitreichende Auswirkungen auf die ganze Welt, auch auf Finnland. Die Stabilität der US-Wirtschaft und des US-Marktes ist von größter Bedeutung für eine Welt, die sich gerade erst von einer Pandemie erholt. Der anhaltende Angriff Russlands auf die Ukraine untergräbt alle Säulen der uns bekannten Weltordnung. … Den Parteien im Kapitol sollte klar sein, dass sie schon wegen der normalen Bürger intern nicht uneins sein sollten. Die Einheit der Vereinigten Staaten sollte ihre wichtigste Aufgabe sein. Davon scheint man jetzt weit entfernt zu sein.“
Pelosi hat vorgemacht, wie es geht
McCarthy lässt die Fähigkeiten der früheren demokratischen Sprecherin Nancy Pelosi vermissen, analysiert die Neue Zürcher Zeitung:
„Die Peinlichkeit der Nichtwahl des Republikaners Kevin McCarthy zum Vorsitzenden des Repräsentantenhauses wirft ein Schlaglicht darauf, wie virtuos Pelosi dieses Amt insgesamt acht Jahre lang ausübte. ... Sie war auf dem dritthöchsten Posten der USA eine brillante Handwerkerin der Macht. ... Das Repräsentantenhaus zu leiten, bedeutet, einen Flohzirkus zu hüten. Es gilt, die eigene Fraktion abwechselnd mit Charme, mit Pöstchen, legislativen Gefälligkeiten oder harschen Drohungen auf Linie zu halten. Pelosi war dabei ein Ausnahmetalent, McCarthy hingegen fehlt dieses Geschick.“
Ein Scherbenhaufen
McCarthys Scheitern offenbart die Uneinigkeit seiner Partei, analysiert BBC:
„Was ein siegreicher Moment für die 'Grand Old Party' hätte werden sollen, nachdem sie bei den Wahlen im November die Kontrolle über das Abgeordnetenhaus erlangt hatte, entwickelte sich zu einem politischen Scherbenhaufen. Die Republikaner schicken sich an, die Kontrolle des Repräsentantenhauses zu übernehmen - doch die tiefen Spaltungen innerhalb der Partei sind nun offen zutage getreten. Weil es keinen echten Präzedenzfall gibt, ist noch unklar, wie es weitergeht. Solange kein Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt ist, herrscht dort jedenfalls Stillstand. Die Parlamentskammer darf keine Entscheidungen treffen – was bedeutet, dass der interne Streit der Republikaner die Regierung blockieren könnte.“
Dogmatisch verrannt
Die Partei ist auf dem Holzweg, analysiert Le Monde:
„Die Republikaner leiden vor allem unter einer schlimmen ideologischen Panne, die an jene der britischen Tories nach jahrzehntelanger Vorherrschaft des Neoliberalismus erinnert. ... Die Partei hat ihre alten Überzeugungen in Sachen Zuwanderung und Freihandel aufgegeben, ohne jedoch eine Vision zu schmieden, die den Wählern Perspektiven aufzeigt. ... Sie ist zu einem von Identitätsängsten genährten Populismus konvertiert, der sie nun darauf reduziert, präventiv jeden Vorschlag aus dem demokratischen Lager abzulehnen und progressive Ideen als 'Wokeismus' abzuurteilen, während das Fortbestehen sozialer Ungleichheiten geleugnet wird, allen voran eines systemischen Rassismus.“