Neuseeland: Premierministerin Ardern gibt auf
Der Rücktritt der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern zum 7. Februar hat überrascht: Sie habe nicht mehr genug im Tank - es sei Zeit für sie, erklärte die 42-Jährige am Donnerstag. Bis zu den Neuwahlen am 14. Oktober will die viel beachtete Politikerin dann einfaches Parlamentsmitglied bleiben. Europas Presse bilanziert.
Eine erfrischend andere Politikerin
Ardern stellt sich in krassen Gegensatz zu Politikern, die alles tun, um an der Macht zu bleiben, heißt es in Denník N:
„Denken wir an Donald Trump und die Falschmeldungen über die gestohlenen Wahlen und den anschließenden Angriff seiner Anhänger auf das Kapitol. Etwas Ähnliches geschah erst kürzlich in Brasilien, wo Jair Bolsonaro den Verlust der Präsidentschaft nicht verkraften konnte. Um im Amt zu bleiben, schneidet Viktor Orbán immer eine neue Scheibe von der Demokratie weg wie von einer ungarischen Salami. Und in Israel machte Benjamin Netanjahu einen Deal mit dem Teufel, also den schlimmsten Extremisten, um wieder ins Amt zu kommen. Auf Wladimir Putin braucht man nicht näher einzugehen. ... Es ist erfrischend, jemanden zu sehen, der sich ganz anders verhält.“
Sie veränderte das Frauenbild in der Politik
Der Kurier lobt Ardern dafür, dass sie menschlich geblieben ist:
„Aus der Schwäche eine Stärke machen, das konnte sie wohl am besten. Damit hat sie das Politikerinnenbild des 21. Jahrhunderts nachhaltig verändert: Bisher sollten Frauen in der Politik am besten kühl, emotionslos und unangreifbar sein, siehe Margaret Thatcher und Angela Merkel. Ardern hat den Spieß umgedreht und daraus ein cooles Image gebastelt: Sie war nicht nur Mutter der Nation, sondern auch echte Frau und Mutter. ... 'Ich bin ein Mensch', sagte sie jetzt unter Tränen. Damit hat sie mit ihren erst 42 Jahren mehr für das positive Bild der Politik gemacht als jeder männliche Sesselkleber.“
Mutiger Schritt
So offen scheitern kann nicht jeder, meint De Volkskrant:
„Ardern tritt also zurück, während sie im eigenen Land auf sozial-wirtschaftlichem Gebiet kaum etwas bewirken konnte, und sie lässt die Labour-Partei in Scherben zurück. Offenbar konnte sie nicht anders. Das zuzugeben ist mutig und erfrischend in einer Welt, in der Politiker meistens zu lange auf ihrem Sessel kleben bleiben und den Kontakt zu den Bürgern schon längst verloren haben.“
Nicht progressiv, sondern pragmatisch
Inhaltlich war Ardern nie die radikal Progressive, für die sie oft gehalten wurde, meint die Chefredakteurin der Tageszeitung Die Welt, Jennifer Wilton:
„Das erschöpfte sich schon in ein paar markigen kapitalismuskritischen Zitaten, die sie zum Anfang ihrer ersten Regierungszeit gesetzt hatte. Sie setzte die liberale Politik ihrer Vorgängerregierung in weiten Teilen fort, auch in ihrer zweiten Amtszeit, in der sie, koalitionsbefreit, hätte durchregieren können. Einer Reichensteuer erteilte sie eine Absage, ihre radikalste Entscheidung war die Anhebung des Mindestlohns auf ein in vielen Ländern übliches Niveau. Inhaltlich war sie oft pragmatisch.“