Sollen Politiker in der Krise auf Gehalt verzichten?
Weil viele Menschen in der Corona-Krise finanzielle Einbußen hinnehmen müssen, fordern einige auch von Politikern, auf einen Teil ihres Einkommens zu verzichten. Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern hat ihre Bezüge um 20 Prozent gekürzt, Österreichs Minister wollen je ein Monatsgehalt spenden. Europas Medien sind sich uneins, ob ein solcher Verzicht als Zeichen der Solidarität geboten ist.
Alle müssen Abstriche machen
Als nötige Geste der Solidarität betrachtet die Journalistin Michèle Binswanger im Tages-Anzeiger einen Gehaltsverzicht von Spitzenpolitikern:
„Als Land befinden wir uns in einer Situation, die uns allen Verzicht abverlangt - persönlich, aber auch wirtschaftlich. Wie viele Menschen dieser Tage in der Schweiz um ihre Existenz bangen und damit um alles, das sie sich aufgebaut haben, kann man sich kaum vorstellen. ... Beim Wiederaufbau dessen, was wir früher als Normalität kannten, werden wir uns alle gegenseitig helfen und verzichten müssen. Deshalb wäre es jetzt eher Zeit für grosszügige Gesten. Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern hat es vorgemacht. Sie hat angekündigt, in den kommenden sechs Monaten auf 20 Prozent ihres Gehalts zu verzichten. Das nenne ich solidarisch.“
Beweist, dass ihr euer Geld wert seid!
Politiker sollten sich jetzt auf ihre Arbeit konzentrieren, statt Symbolpolitik zu betreiben, findet Die Presse:
„Regierungsmitglieder sind gerade in diesen Zeiten sehr gefordert, sie haben eine anstrengende Arbeit. Statt populistische Zeichen zu setzen, sollten sie aber lieber schauen, dass sie das Land gut durch die Krise führen. Sie sollten besser darauf achten, dass ihre Verordnungen und Erlässe auf rechtsstaatlichen Beinen stehen und ihre Regeln auch sinnvoll sind. Dann haben alle Bürger mehr davon als von einer milden Gabe der Regierung.“
Mächtige denken nur an sich selbst
Wie litauische Medien enthüllten, sind die Gehälter des Teams von Gesundheitsminister Aurelijus Veryga in der Corona-Krise um rund 1000 Euro erhöht worden. Für Lietuvos rytas eine große Unverschämtheit:
„Anderswo auf der Welt kürzen die Regierenden ihre Löhne stark, um sich solidarisch mit ihren Mitbürgern zu zeigen. Und man hätte ruhig auch an die Mediziner denken können, um deren Gehälter neulich harte Kämpfe zwischen den Politikern ausgefochten wurden, die nun auf einmal von Großzügigkeit befallen sind. Doch während sich herausstellt, dass die Gehälter von Superminister Veryga und seiner Leute um einen Tausender gestiegen sind, müssen Mediziner und andere Pechvögel immer noch auf die Manna von oben warten.“
Gesamten öffentlichen Dienst abspecken
Diena beobachtet ein generelles Ungleichgewicht zwischen dem Lohnniveau von Beamten und in der lettischen Wirtschaft und schlägt vor, Gehälter und weitere Ausgaben im öffentlichen Sektor dauerhaft zu senken:
„Eine Reihe von Bereichen sind seit fast zwei Monaten lahmgelegt und die kommenden Monate sehen auch nicht allzu glänzend aus. ... Diese Krise ist der beste Zeitpunkt, um ganz ehrlich zu bewerten, ob sich die Ausgaben für öffentliche Verwaltungsstrukturen lohnen und, in einigen Fällen, ob ihre Existenz überhaupt notwendig ist. Nicht nur heute, sondern auch in 'Friedenszeiten'. Eine Reduzierung aller Ausgaben um mindestens zehn Prozent wäre ein Ausdruck von Solidarität zwischen dem staatlichen und dem privaten Sektor.“