Ukraine: Wie soll es jetzt weitergehen?
Ein Jahr nachdem Russland die gesamte Ukraine mit Krieg überzogen hat, deutet nichts auf ein baldiges Ende der Kampfhandlungen hin. Im Gegenteil befürchten Beobachter nach der bisher erfolgreichen Verteidigung der Ukraine eine neue russische Großoffensive. Europas Presse erörtert, was passieren muss, um einem wünschenswerten Ende des Krieges in Zukunft trotzdem ein Stück näher zu kommen.
Fehler von 1938 nicht wiederholen
Der Westen darf in seiner Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen, mahnt Kolumnist Michael McDowell in The Irish Times:
„Wenn dieser Krieg damit endet, dass er die Fundamente der Weltordnung zerstört, wird er der Vorbote vieler weiterer Kriege sein. ... Sollte Putins Politik der Invasion, Kriegsverbrechen, Attentate, Korruption, Subversion und Unterdrückung belohnt werden, käme das moralisch der Aufgabe der Tschechoslowakei im Jahr 1938 gleich. Die Folgen für die Menschheit dürfen nicht unterschätzt werden. Ja, wir zahlen einen Preis für unseren Widerstand gegen Putin. Aber diesen nicht zu leisten, käme viel teurer.“
Anerkennung neuer Grenzen wäre mehrfach problematisch
Konstantinos Tsitselikis, Professor für Internationales Recht, malt in Ethnos eben dieses Szenario aus:
„Angenommen, Russland gewinnt militärisch und die Ukraine kapituliert, indem sie die Bedingungen des Siegers akzeptiert, wie wird dann die Position der westlichen Staaten sein? Die Anerkennung neuer, durch illegale Gewaltanwendung entstandener Grenzen ist natürlich nicht möglich. ... Werden territoriale Souveränitätszonen geschaffen, die von einigen Staaten anerkannt werden und von anderen nicht? Man muss sich die ausweglose Situation in Zypern in viel größerer Dimension und Komplexität vorstellen. Schließlich könnte ein möglicher EU-Beitritt der Ukraine nicht einmal diskutiert werden, wenn das Territorium dieses Landes so stark umstritten ist.“
Ukraine muss in Nato und EU
Reelle Beitrittsperspektiven könnten dazu beitragen, den Krieg schneller zu beenden, erläutert der Historiker Timothy Garton Ash in La Repubblica:
„Die einzige Möglichkeit, eine starke, freie und blühende Ukraine zu haben, besteht darin, dass sich europäische Mächte wie Großbritannien, Polen, Deutschland und Frankreich mit den Vereinigten Staaten zusammentun, um eine Brücke zu schlagen zwischen dem Ende der Feindseligkeiten und der Vollmitgliedschaft des Landes in den beiden wichtigsten Institutionen des Westens. Eben dieser Schritt würde dem Westen den Status und den Einfluss geben, die Ukraine unter vier Augen zu ermutigen, schmerzhafte Kompromisse einzugehen, die notwendig sein könnten, um den Krieg noch in diesem Jahr mit einem klaren ukrainischen Sieg zu beenden.“
Blockfreie Staaten überzeugen
Russlands Angriff hat den Westen geeint, stellt Jyllands-Posten fest – jetzt müssen noch mehr ins Boot geholt werden:
„Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Ukraine überlebt. Es führt kein Weg daran vorbei, dass Putin verliert. Es ist überall im Westen eingesickert. Das herausragende Problem besteht darin, dass viele blockfreie Länder, darunter Großmächte wie Indien und Brasilien, sich noch nicht für eine Seite entschieden haben. Das ist traurig, weil es den Eindruck verstärkt, dass es der Westen gegen den Rest ist. Aber das ändert sich, wenn sich das Kriegsglück ändert. ... Die letzten Zweifler müssen den letzten Anstoß bekommen, sich auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen.“
Uno-Vetorecht endlich abschaffen
Die Uno muss sich neu organisieren, um Frieden zu ermöglichen, urteilt Slate:
„Damit die Uno wirksamer zur Förderung des Friedens beitragen kann, muss sie das sie lähmende Vetorecht dringend aussetzen oder sogar abschaffen. Die fünf Staaten, die als Sieger des Zweiten Weltkriegs gelten, verfügen über dieses Privileg, das heute zunehmend überholt und ungerechtfertigt erscheint. … Es hat die Uno beispielsweise daran gehindert, in Syrien etwas Konkretes zu unternehmen. … Heute, ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, wird deutlich, dass die Uno wiederbelebt werden muss, damit sie ihre unerlässliche friedensstiftende Rolle effektiv wahrnehmen kann. Diese Debatte dauert schon lange an. Wird die ukrainische Tragödie sie voranbringen?“