EU-Kommission will Regeln für Schuldenabbau lockern
Die EU-Kommission hat ihre Pläne für eine Reform der europäischen Schuldenregeln präsentiert. Überschuldeten Staaten sollen individuelle Wege für den Abbau zu hoher Schulden zugestanden werden. Das wäre eine Abkehr vom bisherigen Prinzip, dass für alle Mitgliedsstaaten die gleichen Regeln gelten. In der Presse sind die Meinungen geteilt.
Pragmatismus statt leerer Orthodoxie
Expresso hält es für vernünftig, die Stabilitätskriterien des Euro-Raums neu zu überdenken:
„Wir können immer darauf bestehen, dass die Verschuldung bei 60 Prozent des BIP liegen sollte und dass die Regierungen alles tun sollten, um dies zu gewährleisten. Es ist jedoch am besten, pragmatisch zu sein. Bis 2022 gibt es neben den vier Ländern, die die Schuldengrenze nie überschritten haben, nur vier weitere, die bereits unter 60 Prozent liegen. Die Sicherstellung eines Schuldenabbaus ist von zentraler Bedeutung und sollte Vorrang haben. Regeln, die nicht durchgesetzt werden und nicht funktionieren, nützen nichts. Das ist nur leere Orthodoxie.“
Drohende Instabilität
Die neuen Regeln klingen logisch, müssen aber auch durchgesetzt werden, mahnt De Volkskrant:
„Der heutige strenge Pakt führt in jedem Fall noch zu andauerndem politischen Druck aus Brüssel auf die Hauptstädte. Das Risiko eines lockeren Pakts ist, dass der Druck abnimmt, und dass nach einem Verstoß noch immer nicht eingeschritten wird. Dann kann die Lockerung der Disziplin langfristig zu mehr Instabilität führen und zu großem Schaden an den Staatsfinanzen. So ein Szenario sollte nicht nur Berlin, sondern auch Den Haag Sorgen machen. “
Flexibler als bisher
Ein radikaler Schritt, von dem Italien profitiert, urteilt Wirtschaftsexperte Carlo Cottarelli in La Repubblica:
„Es ist wahrscheinlich, dass Italien so eine weniger starke Anpassung abverlangt wird als nach den bisherigen Regeln. Nach letzteren hätte der öffentliche Schuldenstand im Verhältnis zum BIP um 4 Prozentpunkte pro Jahr sinken müssen. Beim neuen Ansatz besteht die wichtigste Vorgabe darin, dass der öffentliche Schuldenstand im Verhältnis zum BIP innerhalb von vier bis sieben Jahren sinken (um wie viel, wird nicht definiert) und auf einen 'plausibel rückläufigen' Pfad gebracht werden muss.“
Es muss für alle das Gleiche gelten
Diesem Vorschlag darf die Bundesregierung so nicht zustimmen, meint das Handelsblatt:
„Käme der Gesetzentwurf so durch, würden die Schuldenregeln in Europa de facto außer Kraft gesetzt. Für den Fortbestand des Euros sind die Vorschläge ein kaum kalkulierbares Risiko. Die EU-Kommission will künftig direkt mit den EU-Staaten individuelle, maßgeschneiderte Programme zum Schuldenabbau vereinbaren. Und genau das ist das Problem: Schuldenabbau wird zur Verhandlungssache, statt sich nach klaren, allgemeingültigen Regeln zu richten.“
Ausgewogener Kompromiss, aber ...
Es wird schwierig werden, einen Konsens zu finden, glaubt The Irish Times:
„Die EU-Kommission hat einen insgesamt ausgewogenen Vorschlag vorgelegt. Aber die großen Mitgliedsstaaten sind sich bereits uneins, wie es weitergehen soll. Deutschlands Finanzminister Christian Lindner kritisiert die Vorschläge als nicht streng genug. Andere wichtige Akteure wie Frankreich und Italien argumentieren, dass mehr Spielraum benötigt wird, um wichtige Klimaschutzinvestitionen zu tätigen. ... Die Kommission hat versucht, einen Mittelweg zu wählen, der mehr Spielraum zulässt, damit Länder Investitionen fördern können, aber Länder mit höheren Staatsschulden und Haushaltsdefiziten verpflichtet, diese im vorgeschriebenen Maße zu reduzieren.“