Deutschland bekommt Nationale Sicherheitsstrategie

Die deutsche Bundesregierung hat am Mittwoch erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie vorgelegt. Das 15 Monate lang verhandelte Dokument soll alle inneren und äußeren Bedrohungen für Deutschlands Sicherheit miteinander verknüpfen und es dem Land so erleichtern, Krisen zu bekämpfen. Was taugt das Ergebnis?

Alle Zitate öffnen/schließen
Dagens Nyheter (SE) /

Zu wenig im Angebot

Bei Dagens Nyheter weckt die Sicherheitsstrategie keine Begeisterung:

„Die Weltkriege, Hitler und der Holocaust sind und bleiben für die Deutschen ein historisches Trauma. ... Gleichzeitig lässt sich heute argumentieren, dass Deutschland aufgrund der Schrecken des 20. Jahrhunderts eine besondere Verantwortung hat, Tyrannen wie Putin im Weg zu stehen. Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass Frieden nicht ewig währt. Die Nato mit ihrem amerikanischen Rückgrat bleibt der Schlüssel zur Sicherheit Europas. Aber eine deutsche Strategie, die Selbstverständlichkeiten herunterleiert, führt nicht zu einem angemessenen Verteidigungshaushalt.“

El País (ES) /

Berlin überwindet Anomalie im richtigen Moment

Kanzler Scholz hat verstanden, dass Deutschland einen Kurswechsel brauchte, lobt El País:

„Dem sozialdemokratischen Kanzler ist die Aufgabe zugefallen, eine historische Anomalie, die seit der Niederlage der Nazis 1945 herrschte, zu beenden: Trotz des lupenrein demokratischen Charakters der Bundesrepublik, trotz ihrer nach dem Wiederaufbau erlangten Wirtschaftskraft und ihres jahrzehntelangen Engagements und Einflusses im europäischen Einigungsprozess hielt das Land [militärisch] an einem niedrigen Profil fest - und das in einem Moment, in dem das Engagement für Sicherheit und Verteidigung von grundlegender Wichtigkeit ist. Scholz hat nun gezeigt, dass er das verstanden hat und Deutschland für die Verteidigung Europas zur Verfügung steht.“

Milliyet (TR) /

Wirtschaftlich stark, militärisch stark

Deutschland will seiner wahren Stärke entsprechend Verantwortung übernehmen, meint Milliyet:

„Mit diesem Dokument will Deutschland politisch zeigen, dass es nicht nur ein wirtschaftlicher Akteur in der Welt ist, sondern auch im Bereich der Sicherheit und Verteidigung mitreden will, und bereit ist, eine seiner wirtschaftlichen Dimension entsprechende Verantwortung in der Nato zu übernehmen. Dabei unterstreicht es, dass es die nationalen Sicherheitsinteressen und Anliegen seiner Nato-Verbündeten berücksichtigen wird.“

Causeur (FR) /

Ein starkes Zeichen

Deutschland beweist seine Stärke auf internationalem Parkett, beobachtet Causeur:

„Die Veröffentlichung der Nationalen Sicherheitsstrategie als Erste ihrer Art ist ein starkes Zeichen für die offizielle Rückkehr Deutschlands in das Konzert der europäischen und globalen Mächte – und das nicht als Geldgeber und Maschinenbauer, sondern als Macht mit einer bedeutenden militärischen Dimension. Das sollte hervorgehoben werden.“

Zeit Online (DE) /

Mangelnde Prioritätensetzung

Die Bundesregierung vertritt einen derart breiten Sicherheitsbegriff, dass kaum noch sinnvolle Unterscheidungen möglich sind, kritisiert Zeit Online:

„Der Zugang zu Nahrung, die Widerstandsfähigkeit demokratischer Institutionen, die Verfügung über persönliche Daten, die Lieferketten der Industrie, die Biodiversität – alles das berührt die Sicherheit unserer Lebensweise. ... Strategisches Denken definiert Prioritäten ... . Alles und jedes für machbar und erreichbar zu erklären und dann das Label Strategie draufzukleben, ist ein Widerspruch in sich. Halten wir fest: Dies ist kein Strategiedokument, sondern eine Bekräftigung, dass wir die Guten sind, uns für lauter gute Dinge einsetzen und entsprechend allen Menschen alles Gute wünschen.“

Formiche.net (IT) /

Eklatante Lücken

Eine klare Position gegenüber China vermisst die Online-Zeitung Formiche.net:

„Die neue Nationale Sicherheitsstrategie der deutschen Regierung sollte im Gegenlicht gelesen werden. Interessant ist nämlich vor allem das, was fehlt. Auf den mehr als 70 Seiten des Dokuments kommt das Wort Taiwan nicht vor, also die wahrscheinlich größte sicherheitspolitische Herausforderung der kommenden Jahre. Die Stärkung der Beziehungen zwischen China und Russland wenige Tage vor dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine wird nicht angesprochen. ... Für China wird die Definition der EU wiederholt: (Verhandlungs-)Partner, (wirtschaftlicher) Konkurrent und systemischer Rivale.“