EU-Erweiterung bis 2030?
Bei einer Konferenz in Slowenien hat EU-Ratspräsident Charles Michel mit der Aussage für Aufsehen gesorgt, die EU müsse sich zum Ziel setzen, bis 2030 neue Mitglieder aufnehmen zu können. Dafür seien schnelle Reformen bei den Beitrittskandidaten, aber auch bei der EU und ihren Entscheidungsprozessen nötig. Wie realistisch und wünschenswert das ist, beurteilen Kommentatoren unterschiedlich.
Das Licht lockt wieder
Die Zeiten der Erweiterungsmüdigkeit der EU, die von den Autoren Ivan Krastev und Stephen Holmes im Buch "Das Licht, das erlosch" beschrieben wurde, sind vorbei, meint El País:
„Die zentrale Erkenntnis der letzten anderthalb Jahren ist die Überwindung der Vetos - und dass sich niemand als pro-europäisch bezeichnen und gleichzeitig die Erweiterung ablehnen kann. ... Es ist gut möglich, dass auf dem Gipfel von Granada [im Oktober] offiziell verkündet wird, dass das 'erloschene Licht' nun wieder aufleuchtet. Der Osten will wieder nachahmen, und der Westen muss nachziehen.“
Alles nur Makulatur
Charles Michel will sich vor allem profilieren, vermutet Jutarnji list:
„Vielleicht wollte Michel, weil sein Mandat in einem Jahr endet, beweisen, dass er sich stark für einen konkreten Fortschritt bei der Erweiterung eingesetzt hat. ... Ähnlich tat dies der ehemalige Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Er sagte während der ersten vier Jahre seiner Amtszeit, dass es keine Erweiterung geben werde, was den sowieso schon langsamen Prozess zusätzlich bremste - um am Ende mit ehrgeizigen Vorschlägen für 2019 zu kommen als Jahr, in dem die Länder des Westbalkans ihre Probleme untereinander lösen, um 2025 schon manche der Staaten aufnehmen zu können. Doch bekamen diese Vorschläge nie die Unterstützung der Mitgliedsstaaten, so wie auch die Vorschläge von Charles Michel sie nicht bekommen werden.“
Expansionspolitik nicht mehr der Erfolg von einst
Delo sieht keine Grundlage für eine schnelle Erweiterung:
„Die Praxis der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass in der Erweiterungspolitik die Macht der EU zur Transformation der Kandidaten verborgen liegt. Während des Beitrittsprozesses erfüllten sie die Bedingungen, reformierten sich intern und näherten sich der Union an. Doch der Westbalkan bleibt auch 20 Jahre nach der Agenda von Thessaloniki [als Nordmazedonien, Albanien, Kosovo, Serbien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina eine Beitrittsperspektive versprochen wurde] ein leerer Raum. Wenn die Kandidaten selbst nicht aus der Sackgasse herauskommen, wird es keinen Beitrittsfortschritt geben. Im Laufe der Geschichte galt die Erweiterungspolitik als großer Erfolg der EU. Dass das weiterhin gilt, ist nicht garantiert.“
Identität würde weiter verwässert
Eine solche Erweiterung würde die Union entscheidend verändern, warnt De Standaard:
„Die wichtigste Hürde wird eine demokratische. Wenn die Union so groß und so disparat wird, kann sie sich dann weiter wie ein einziger demokratischer Raum entwickeln? Dann wird die Identitätsfrage unvermeidlich. Was haben wir mit Moldau oder Albanien gemein, dass wir deren EU-Abgeordnete auch über uns mitentscheiden lassen? Oder muss die Union ein Staatenbund werden, der Wunschtraum der äußersten Rechten? 'Wir brauchen Unerschrockenheit', sagte Macron gestern. Das, ja, und das Gefühl, das Ganze sei ein Gewinn, für und bei genügend Europäern.“