Neue Achse Pjöngjang-Moskau?
Informationen der US-Regierung zufolge will Wladimir Putin Nordkoreas Diktator Kim Jong-un in Wladiwostok treffen. Offenbar soll Pjöngjang Moskau Waffen für den Krieg gegen die Ukraine liefern. Europas Presse interpretiert dies überwiegend als ein Zeichen der Schwäche Russlands, die Nordkoreas Führung neuen Handlungsspielraum verschafft.
Kim Einhalt zu gebieten wird noch schwieriger
Die neue Allianz hilft Kims atomaren Ambitionen, meint Die Presse:
„Zwar bezweifeln Experten, dass Moskau tatsächlich so weit gehen wird und Nordkorea die erwünschte Nukleartechnologie liefert. Doch allein die Einnahmen der lukrativen russischen Waffengeschäfte dürften Kim helfen, sein Atomprogramm zu perfektionieren, während er gleichzeitig sein Volk weiter aushungert. … Bisher blickten die USA und Nordkoreas Nachbarn eher ratlos in Richtung Pjöngjang. Nun dürfte es nahezu unmöglich werden, Nordkorea durch Diplomatie und wirtschaftliche Druckmittel einzubremsen. … Allein der Gedanke, dass er die verhassten Amerikaner in die Enge getrieben hat, dürfte den Diktator fröhlich stimmen, wenn er in seinen gepanzerten Zug Richtung Russland steigt.“
Gefährlicher Tauschhandel
Die Annäherung von Putin und Kim ist für The Irish Times besorgniserregend:
„Dieses Quid pro quo wird ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht sein. ... Bei einem Treffen Ende dieses Monats wird Wladimir Putin Kim Jong-un um Artilleriegeschosse und Panzerabwehrraketen bitten, um sein aufgebrauchtes Waffenarsenal aufzufüllen. ... Im Gegenzug möchte der nordkoreanische Staatschef auf seiner ersten Auslandsreise seit 2019 wohl russische Hilfe beim Aufbau der nächsten Generation von Verteidigungsanlagen erbitten. ... Ein solcher Handel würde eine erhebliche und gefährliche Eskalation der russischen Kriegsanstrengungen und eine weitere Untergrabung der vereinbarten internationalen Isolierung Nordkoreas bedeuten.“
Der Westen hat sich das selbst eingebrockt
Die totale Isolation Russlands könnte gefährliche Folgen haben, meint die regierungsnahe Mandiner:
„Das ist der Preis für Russlands totale Isolation - die Entfesselung [gefährlicher Regime]. ... Venezuela und Iran werden dadurch stärker, dass wir [der Westen] auf sie angewiesen sind. Nordkorea wird stärker, weil wir die Russen gezwungen haben, auf sie angewiesen zu sein. Das fast schon als Binsenweisheit geltende 'Zusammenrücken' von Russland und China ist nicht nur wegen der gemeinsamen antiwestlichen Interessen dieser beiden ohnehin schon mächtigen Ländern ein Risiko - die wirkliche Gefahr besteht darin, dass sich einer solchen Achse jeglicher Verrückte anschließen könnte, der ein Problem mit dem Westen hat.“
Nordkorea ist abhängig von China
Wprost verweist auf den unsichtbaren Dritten im russisch-nordkoreanischen Militärbündnis:
„Die endgültige Entscheidung über die nordkoreanische Militärhilfe für Moskau muss jedoch in Peking getroffen werden. Das Regime von Kim Jong-un ist völlig abhängig von China, das Nordkorea oft benutzt, um seine strategischen Ziele zu erreichen. Dies ist insofern praktisch, als das Politbüro in Peking Kim gerne als unberechenbaren und unkontrollierbaren Verrückten darstellt, während er aber in Wirklichkeit genau die von China gesetzten Ziele verfolgt.“
Eine ruchlose Freundschaft
Für The Spectator ist klar, worum es beiden Partnern geht:
„Die Vorteile für beide Seiten liegen auf der Hand: Die nordkoreanische Wirtschaft liegt trotz der Fähigkeit des Regimes, Sanktionen zu entgehen, brach. Während Moskau, nun weltweit ohne Freunde, dringend Waffen benötigt, um den Kampf gegen die Ukraine fortzusetzen. ... Die Beweggründe für Moskaus jüngste Annäherung an Pjöngjang – und umgekehrt – sind vorrangig praktischer Natur. Es handelt sich um das ruchlose Geschäft zweier Schurkenstaaten, die gemeinsam Front gegen ihren gemeinsamen Feind, die USA, machen.“
Parias auf Augenhöhe
Die Rollen haben sich vertauscht, seit sich Putin und Kim vor vier Jahren zuletzt sahen, bemerkt die Kleine Zeitung:
„Wenn Kim Putin ... tatsächlich bald einen zweiten Besuch abstattet, kommt er aber nicht als Bittsteller, sondern als Helfer in der Not. Denn Nordkorea verfügt nicht nur über jene in der Sowjetunion entwickelte Artilleriemunition, die Russland nach 20 Monaten Krieg in der Ukraine zunehmend ausgeht. Anders als China oder Indien, die keine weitere Verschlechterung der teils ohnehin angespannten Beziehungen zum Westen riskieren wollen, hat Nordkorea hier nichts zu verlieren. Der Krieg in der Ukraine hat Russland und Nordkorea zu Parias auf Augenhöhe gemacht.“
Putin baut auf Nordkorea
Russland und Nordkorea sind jetzt ganz offen Verbündete, resümiert Gazeta Wyborcza:
„Im zweiten Jahr des Krieges in der Ukraine hat Russland aufgehört, so zu tun, als hätte es nichts mit dem globalen Paria Nordkorea gemein. Es tut nicht mehr so, als ob, sondern nimmt die Beziehungen zu seinem ehemaligen Klienten wieder auf. ... Die geplante Zusammenarbeit wird jedoch nicht bei der Munition enden. Die zunehmende Isolierung des kriegführenden Russlands hat Putin dazu veranlasst, seine antiwestliche Front nicht nur mit China, sondern auch mit Nordkorea aufzubauen.“
Russland tief gesunken
Das vermeintlich so mächtige Russland ist ganz schön abhängig geworden, stellt Večernji list fest:
„Nach 18 Monaten russischer Angriffe in der Ukraine stellt sich heraus, dass dem laut Putin so starken Russland das eigene Raketenarsenal und Waffenlager geleert hat und ihm die Waffen ausgehen. Moskau muss offensichtlich um Waffen vom nordkoreanischen Diktator und um iranische Drohnen betteln, mit denen es alltäglich ukrainische zivile Ziele und Infrastruktur angreift und ohne die Putins Invasion in noch größeren Schwierigkeiten stecken würde als jetzt schon. ... Das einst so mächtige Russland 'bettelt nun Nordkorea um Waffen aus den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts an', merkte der ehemalige britische Verteidigungsminister Ben Wallace an.“
Kim ist der wahre Kriegsgewinnler
Für das Handelsblatt ist diese Annäherung ein klares Zeichen der Schwäche Putins:
„Dem russischen Präsidenten gehen beim heiklen Thema Rüstung die Bündnispartner aus - weder China noch andere Akteure wollen sich mit Waffenlieferungen an Russland den Ärger der USA und ihrer Bündnispartner zuziehen. Nordkoreas Diktator Kim Jong Un wird das zu nutzen wissen. ... Die geopolitischen Folgen der rüstungspolitischen Annäherung sind nicht zu unterschätzen. Erstens verliert Moskau in der Position des Bittstellers endgültig seinen mäßigenden Einfluss auf Nordkorea. Zweitens würde der Import von wichtigen Rüstungsbauteilen aus Russland das Regime noch gefährlicher machen. ... Für den Frieden und auch die von China gewünschte Stabilität an seinen Grenzen sind das alles schlechte Nachrichten.“
Druckmittel in den Beziehungen zu den USA
Nordkoreas Machthaber buhlt vor allem um Aufmerksamkeit aus Washington, glaubt Corriere della Sera:
„Es ist im Interesse von Kim, Joe Biden unter Druck zu setzen, um Zugeständnisse zu erreichen. Die Option, Nordkorea könnte zum Munitionslieferanten für die russische Armee werden, hat denn auch sofort die Aufmerksamkeit Washingtons erregt, das Pjöngjang vor einem solchen Vorgehen gewarnt hat. Seit dem Abbruch des durch Präsident Trump versuchten Dialogs haben die USA trotz der von Kim angeordneten Raketentests wenig Interesse am Nordkorea-Dossier gezeigt. Die Verwicklung Nordkoreas in die Ukraine-Krise könnte dazu dienen, Kim wieder auf Bidens Prioritätenliste zu setzen.“