Iran: Repression zum Todestag von Mahsa Amini
Ein Jahr nach dem Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini in Polizeigewahrsam, der eine heftige Protestwelle ausgelöst hatte, setzt das iranische Regime auf Härte, um erneute Aufstände zu verhindern. Es gab etliche Festnahmen wegen angeblicher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, in den kurdischen Gebieten wurde der Ausnahmezustand verhängt. Kommentatoren debattieren, wie die Chancen für einen tiefgreifenden Wandel stehen.
Zivilgesellschaft wartet auf ihren Moment
Das vergangene Jahr hat Spuren in Iran hinterlassen, glaubt Deník N:
„Auch wenn sich der Iran aus westlicher Sicht kaum verändert oder seine Beziehungen zu anderen internationalen autoritären Akteuren sogar vertieft hat, ist es notwendig, die allmählichen Veränderungen, die in der dortigen Gesellschaft stattfinden, und bestimmte damit einhergehende Trends wahrzunehmen. Es ist möglich, dass die Proteste und Gedenkkundgebungen, die in dieser und den folgenden Wochen stattfinden werden, dem dortigen Regime keinen Schaden zufügen werden. Gleichzeitig ist es jedoch wahrscheinlich, dass durch solche Ereignisse und die daraus gewonnenen Erfahrungen eine stärkere iranische Zivilgesellschaft wächst, sich festigt und auf ihre Chance wartet.“
Zwischen Regime und Bevölkerung liegen Welten
Auch Le Monde sieht große Veränderungen in der iranischen Gesellschaft:
„Die Gewalt, mit der das iranische Regime die Proteste zu unterdrücken versucht hat und die Hunderte Menschen das Leben kostete, hat zwar ihre Aufgabe erfüllt, gleichzeitig aber auch die Kluft zwischen dem Regime und seinem Volk drastisch vertieft. ... Das militärisch-religiöse Regime im Iran hat sich von seiner Bevölkerung abgekehrt, die mit der anfänglichen kaum noch etwas gemeinsam hat. Sie ist größer geworden, urbaner und besser gebildet – angefangen bei den Frauen. Sie formt sich im Angesicht der Wellen des Protests und der Unterdrückung, die sie erlebt, und hat gute Zukunftsaussichten.“
Die Iraner haben genug
Der zivile Ungehorsam untergräbt auf Dauer das Regime, meint Die Presse:
„Der Sicherheitsapparat steht weiterhin stramm hinter dem herrschenden System. Aber über die Zukunftsaussichten kann sich Teheran eigentlich auch keine Illusionen machen: Seit Jahren werden die Abstände zwischen den Demonstrationen immer kürzer, Experten sehen einen 'revolutionären Prozess' im zeitgenössischen Iran im Gange. Das Land steckt mitten in einem Umbruch, und an dessen Ende muss der Fall des Regimes stehen. Ob das morgen oder in sieben Jahren passiert, lässt sich freilich nicht vorhersehen. Was sich aber sehr wohl sagen lässt: Die Bevölkerung hat genug.“
Parolen und Transparente sind zu wenig
Warum die Protestbewegung zum Scheitern verurteilt sein könnte, erklärt Kolumnist Jawad Iqbal in The Spectator:
„Niemand weiß, was die Demonstranten konkret für den Iran wollen. Was sind ihre gemeinsamen politischen Ziele, sofern sie welche haben? Die ersten Massendemonstrationen lockten eine große Zahl junger Menschen, vor allem Frauen, an. Aber ohne eine breitere Basis der Unterstützung in der Bevölkerung kann keine Opposition auf Erfolg hoffen. Parolen und Transparente allein werden niemals ausreichen. Eine politische Bewegung für Veränderung braucht klare Ziele und Absichten. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich diese jüngste Kraftprobe mit dem Regime tot läuft.“
Die Mullahs sind nicht der Iran
Politiken hofft, dass das Volk seine Unterdrücker besiegen wird:
„'Lasst uns Blumen streuen und Wein ins Glas füllen', schrieb der persische Dichter Hafis im 14. Jahrhundert. Seine Poesie wird noch heute hoch geschätzt. ... Hafis war ein islamischer Dichter, aber aus einer anderen, weitaus toleranteren Zeit. Einer Zeit, in der man auch im Iran ganz offen Wein trank und deftige Liebesgedichte schrieb. Hafis ist ein Symbol für alles, was der Iran war und wieder hätte werden können. ... Die Mullahs sind nicht repräsentativ. ... Der Kampf obliegt den Iranern, aber die Umgebung kann und muss ihr Bestes geben, um zu helfen. ... Auf lange Sicht wird das Regime hoffentlich unter dem Druck der Bevölkerung in sich zusammenbrechen.“