Wie sollte die EU mit Orbáns Blockade umgehen?
Beim EU-Gipfel in der kommenden Woche sollen zwei wichtige Beschlüsse zur Unterstützung der Ukraine getroffen werden: die Aufnahme der Beitrittsgespräche sowie weitere Finanzhilfen in Höhe von 50 Milliarden Euro. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán droht damit, beide Anträge per Veto zu blockieren, und fordert, die Themen von der Tagesordnung zu nehmen. Kommentatoren sehen Ungarn zunehmend isoliert.
Lieber Nachgeben
Mit ihrer Haltung dient die ungarische Regierung nicht den Interessen Ungarns, meint Magyar Hang:
„Das Problem ist die Unnachgiebigkeit, die scheinbare Unfähigkeit zum Kompromiss; dass die Regierung seit einiger Zeit unfähig zu sein scheint, europäische Verbündete, die an der Regierung sind, für sich zu gewinnen ... Natürlich mag diese Mentalität einigen ungarischen Wählern sympathisch sein, weil es sich gut anfühlt, unsere Ressentiments zu pflegen. ... Aber tief im Herzen wissen die meisten, dass diese Haltung nicht gerade fortschrittlich ist. Sie wird nicht dazu führen, dass man uns mehr respektiert. Außerdem ist sie nicht einmal der beste Weg der Interessenvertretung.“
Ungarn ist nicht mehr zu retten
Élet és Irodalom sieht keine Hoffnung für Ungarn und die EU, ihre Beziehungen zu verbessern:
„Es fällt schwer, das zu sagen, weil man über die eigene Heimat spricht, aber Ungarn ist im Moment wohl nicht zu retten. Seine Regierung führt das Land mit großen Schritten aus der europäischen Gemeinschaft heraus, in eine sehr instabile Welt, aus der sogar Viktor Orbán versucht hat, herauszukommen, als er noch in der Opposition war. Seine Beweggründe sind klar: Das antidemokratische System, das er zu seinem eigenen Vorteil aufgebaut hat, kann im Rahmen der Union nicht aufrechterhalten werden.“
Trojanisches Pferd des Kremls
Ungarns Premier schadet der Union, klagt der Tages-Anzeiger:
„Das Image der EU als glaubwürdige Partnerin und geopolitische Akteurin ist jetzt schon angeschlagen. … Orbán nimmt in Kauf, dass die Ukraine den Verteidigungskrieg gegen Russland verliert und womöglich kapitulieren muss. Das wäre nicht nur für die Ukraine eine Katastrophe, sondern würde auch die EU massiv schwächen und einer Zerreißprobe aussetzen. ... Einige sehen den Ungarn nicht umsonst als trojanisches Pferd des russischen Präsidenten.“
Auf keinen Fall erpressen lassen
Politologe Radovan Geist befürchtet in Pravda, dass die EU-Kommission gesperrte Gelder lockert, um Orbán umzustimmen:
„Erpressung funktioniert gut für den ungarischen Premier. Sollte er damit tatsächlich Erfolg haben, wäre das ein falsches und gefährliches Zugeständnis. Denn es gibt keine Garantie dafür, dass Budapest sein Veto (gegen die geplanten Ukraine-Beschlüsse des EU-Gipfels) wirklich zurückzieht. Wenn ja, kann Ungarn auch künftig die EU erpressen. Erpressung könnte Orbáns wirksamste Waffe werden. ... Und der slowakische Premier Robert Fico, dem die EU jetzt wegen seiner Eingriffe in die heimische Justiz ebenfalls Gelder zu verweigern droht, brauchte dem Beispiel Orbáns nur zu folgen.“
Macron könnte es noch richten
Macron will Orbán am Donnerstagabend empfangen, um ihn noch umzustimmen. Népszava-Autor István Marnitz gibt dem französischen Präsidenten einen Tipp:
„Ich möchte Sie daran erinnern, dass Viktor Orbán in der Opposition mindestens genauso heftig auf Moskau gespuckt hat [wie jetzt auf Kyjiw], bis Putin ihn 2009 zum Kongress seiner Partei nach St. Petersburg eingeladen hat. Dort ist etwas passiert. Ein neuer Orbán kehrte von dem Treffen zurück. Und wie wir gesehen haben, hat er in den letzten rund 13 Jahren seiner Regierungszeit ganz Ungarn systematisch und entschlossen den Russen ausgeliefert. Wie sollte man jetzt gegenüber Orbán argumentieren? Nun ja, etwa so, wie Putin es damals getan hat. Indem man beherzigt, dass [die Sprache der Macht] das einzige ist, was Orbán versteht.“
Ungarns Suspendierung muss auf die Tagesordnung
Das Tageblatt fordert Konsequenzen bei den anstehenden EU-Reformen:
„[Dort] soll es darum gehen, dass beitrittswillige Mitglieder auf den Feldern, auf denen sie bereits EU-Standard erreicht haben, in Brüssel bereits vor Aufnahme mit beraten dürfen. Das sollte auch umgekehrt gelten. Artikel 7 des EU-Vertrages enthält längst die Möglichkeit, die Mitgliedschaft eines Landes zu suspendieren. Eine Diskussion darüber sollte kurzfristig auf die Tagesordnung des EU-Gipfels gesetzt werden. Das wäre das Mindeste im Vorfeld der ungarischen Ratspräsidentschaft ab Juli nächsten Jahres. Oder will sich die EU Orbans Angriffe achselzuckend bieten lassen?“
Notfalls bilateral helfen
Orbán verhält sich wie ein informeller Statthalter Putins im westlichen Lager, empört sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„[S]elbst Erdoğan positioniert sich ausgewogener. Den Zeitpunkt für seinen kleinen Aufstand in Brüssel hat Orbán vermutlich sorgfältig gewählt. Da derzeit auch in Washington weitere Finanz- und Militärhilfe für die Ukraine blockiert wird, ist der potentielle Schaden für Kiew maximal. ... [D]ie Ukraine wird ohnehin nicht so bald EU-Mitglied. Wichtig sind die 50 Milliarden Euro für das Land. Man kann darüber noch mal bis nächste Woche verhandeln, aber die EU sollte im Streit über Rechtsstaatlichkeit schon bei ihren Grundsätzen bleiben. Hilfe für die Ukraine lässt sich im Zweifel auch bilateral organisieren.“