Charles Michel will ins EU-Parlament wechseln
Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, hat seine Kandidatur für das Europaparlament und einen vorzeitigen Rücktritt von seinem Posten angekündigt. Sollte er bei den Wahlen im Juni ein Abgeordnetenmandat erhalten, muss zügig ein Nachfolger gefunden werden. Ansonsten übernimmt turnusgemäß das Land, das den Vorsitz im EU-Ministerrat hat - in diesem Fall Ungarn.
Niemand will eine Plattform für Orbán
Niemand wolle, dass Ungarns Premier diesen Posten für sich ausschlachten könne, heißt es in Spotmedia:
„Sicher würde Orbán sich freuen, ein solch hohes Amt zu übernehmen. ... Aber er ist klug und will weder zeigen, dass er ein Amt aus zweiter Hand akzeptieren würde, denn jeder autokratische Anführer definiert sich über das Votum des Volkes, nach dem Motto: Das Volk will mich. Andererseits will er keinen institutionellen Posten haben, wo er seine bisherigen Botschaften kompromittieren würde. ... Sollte er absurderweise gefragt werden, ob er interimsweise den Posten akzeptieren würde, würde er umgehend eine Rede als Retter der EU schwingen, nach seinen Bedingungen. Doch niemand will Viktor Orbán eine europäische Plattform bieten, damit er eine solche Botschaft verbreiten kann.“
Draghi als möglicher Kandidat
La Stampa eröffnet die Debatte um die Nachfolge:
„Der Name Mario Draghi steht nun auf der Liste der möglichen Kandidaten für die Nachfolge des ehemaligen belgischen Premiers. … Dem ehemaligen italienischen Premier stehen jedoch mehrere Hürden im Weg: Wie aus parlamentarischen Kreisen verlautet, hätten die politischen Familien mit der Ernennung [des parteilosen Draghi] einen Posten weniger zu vergeben. Und es ist kein Geheimnis, dass die Ratspräsidentschaft vor allem von den Sozialisten beansprucht wird, die sie bisher noch nie inne hatten.“
Ein Fall von Fahnenflucht
De Standaard wirft Michel pure Berechnung vor:
„Mit zwei Kriegen, die die ganze Welt beschäftigen, ist es nicht so, als gäbe es nichts zu tun. ... Der Eindruck, dass er Fahnenflucht verübt, ist nicht unbegründet. Außerdem ist es wenig glaubwürdig, dass er seinen Sitz im Europäischen Parlament einnehmen will, um als 'einfacher' Abgeordneter zu dienen. Der ehrgeizige Michel wird sich damit nicht zufrieden geben. Er will weiter auf höchstem europäischem Niveau spielen, und das hat ihn vor ein Dilemma gestellt. Denn wenn er bis zum letzten Tag sein Amt durchgehalten hätte, hätte er sich selbst blockiert. Dann wären die europäischen Spitzenjobs bereits verteilt gewesen.“
Mister Veto ante portas
Wenn nicht rechtzeitig ein Nachfolger für Michel gefunden wird, droht Chaos, meint La Stampa:
„Ein Flügelschlag auf dem Kongress der belgischen Reformbewegung könnte ein politisches Erdbeben an der Spitze der europäischen Institutionen auslösen. … Charles Michel hat beschlossen, bei den bevorstehenden Wahlen zur Erneuerung des Europäischen Parlaments als Vorsitzender seiner Partei Mouvement Réformateur anzutreten. ... Dies bedeutet, dass der ehemalige belgische Premier seine im November auslaufende Amtszeit vorzeitig beenden muss. Und so könnte ab Juli, wenn auch nur vorübergehend, der Mann an der Spitze der Staats- und Regierungschefs stehen, der schon mehrfach das klassische Sandkorn darstellte, das das Getriebe der europäischen Entscheidungsmaschinerie zum Stillstand bringen kann: 'Mister Veto', Viktor Orbán.“