War die Mittelfreigabe an Ungarn rechtmäßig?
Im Dezember hatte die EU-Kommission überraschend einen Teil der wegen rechtsstaatlicher Mängel zurückbehaltenen Fördermittel für Ungarn freigegeben. Das Europaparlament stellt diese Entscheidung nun infrage und zieht eine Klage vor dem EuGH in Betracht. Nach Ansicht einer klaren Mehrheit vom linken bis ins konservative Spektrum erfüllt Ungarn die EU-Rechtsstaatlichkeitsstandards weiterhin nicht.
Grundwertverstöße nicht durchgehen lassen
Laut Salzburger Nachrichten wirft das Vorgehen des EU-Parlaments kein gutes Licht auf die Kommission:
„Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Minderheitenrechte: Die vertraglich verankerten Grundwerte der EU und deren Durchsetzung sind in den vergangenen Jahren erodiert. Die Regierungen in Budapest und Warschau haben fast ungestört eine Grenzüberschreitung nach der anderen begangen. Außer ein paar gesperrter Milliarden ist in Brüssel wenig dagegen unternommen worden. Folglich hat Orbán das Veto zum tolerierten Mittel gemacht, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Dass das Parlament vehement auf die Einhaltung der Grundwerte pochen muss, ist für die Kommission als 'Hüterin der Verträge' kein Renommee.“
Prüfung sachlich und prozessual gerechtfertigt
Népszava schreibt:
„Das Parlament hat nicht der ungarischen Demokratie, sondern gegenüber seinen eigenen Wählern eine Geste gemacht, indem es härter als üblich die Kommission angeknurrt hat, deren Nachgiebigkeit wirklich über alle Grenzen hinausgeht. ... Die Mehrheit der Abgeordneten ist offenbar der Meinung, dass die Kommission nicht als 'Hüterin der EU-Verträge' gehandelt hat, was ihre Pflicht ist, sondern dass sie politisiert hat (wie es ihr die ungarische Regierung in anderen Fällen vorwirft). Andererseits hat die Justizreform, die unsere Regierung angeblich durchgeführt hat, den ersten Praxistest, die Wahl des unabhängigen Landesrichterrats OBT, nicht bestanden: Der Einfluss der Regierung hat sich genauso durchgesetzt wie vor der 'Reform'.“
Orbán muss sich wenig Sorgen machen
Rzeczpospolita glaubt nicht an eine Konfrontation der EU mit Ungarn:
„Mit [Polens Ex-Premier] Morawiecki hat Orbán einen Verbündeten verloren, aber dafür Robert Fico, den populistischen Premier der Slowakei, gewonnen. ... Auch die Position anderer Länder, gegen die ebenfalls Vorwürfe der Rechtsstaatsverletzung erhoben wurden, wie Bulgarien und Malta, ist nicht klar. ... Doch die Bedenken, Ungarn mit dem Entzug des Wahlrechts zu bestrafen, beruhen nicht nur auf der Angst vor einer Bestrafung für die eigenen Sünden, sondern auch auf politischem Kalkül. ... Sanktionen könnten kontraproduktiv sein und die Unterstützung für systemfeindliche Parteien stärken, die mit Sicherheit von einem Angriff Brüssels auf die demokratische ungarische Regierung sprechen würden. Und das will niemand vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni.“