Was hat Putin in seiner Rede an die Nation gesagt?
In seiner Rede zur Lage der Nation hat Putin am Donnerstag Warnungen vor einem Atomkrieg an den Westen gesendet und der russischen Bevölkerung Versprechen gemacht. Zwei Wochen vor der Wahl stellte er ein Unterstützungsprogramm für Familien, Investitionen im Gesundheitsbereich und eine Erhöhung des Mindestlohns in Aussicht. Die Kommentatoren scheint er damit aber nicht beeindrucken zu können.
Inhaltsloser geht es kaum
Putin hat nichts Neues gesagt, findet der Politologe Wolodymyr Fessenko in NV:
„Das war Putins längste und inhaltsloseste Botschaft in knapp einem Vierteljahrhundert seiner Herrschaft. Es gibt praktisch keine politisch bedeutsame These, die des Zitierens und einer ernsthaften Analyse wert wäre. ... Streift man all den verbalen Tand von Putins Botschaft ab, ist der Krieg sein wichtigstes Wahlversprechen. Spezialoperation ohne Ende und ohne Grenzen. ... Wieder einmal gab es Drohungen an den Westen und zugleich einen Appell an die Amerikaner, in strategischen Fragen verhandlungsbereit zu sein. Doch all das hatte es bereits gegeben, und zwar in konkreterer Form, nicht so abstrakt wie diesmal.“
Krieg und Frieden ausgeklammert
The Moscow Times vermisst Aussagen zu den wirklich dringlichen Problemen Russlands:
„Putin verlor kein Wort darüber, ob er beabsichtigt, den Haushalt ausgeglichen zu halten. Er sagte auch nichts zu der 'Wahl' oder der unvergleichlich dringlicheren Frage der Kriegsaussichten. Es gab keine Andeutungen zu Friedensbedingungen, nichts über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer neuen Mobilmachung und noch weniger über die Frontlage. ... Überhaupt waren nur wenige Minuten der langen Rede militärischen Fragen gewidmet. Putin bewahrt sich so volle Handlungsfreiheit, den Krieg so lange zu führen, wie er will - oder umgekehrt, ihn jederzeit zu Bedingungen zu beenden, die er nicht für nötig hält, vorab irgendwie festzulegen.“
Simulation eines friedlichen Lebens
Der Kremlchef hat einer kriegsmüden Gesellschaft Sand in die Augen gestreut, schreibt Politologe Abbas Galliamow auf Facebook:
„Auffallend war die Dominanz friedlicher Themen über militärische. Dies ist ein klarer Beweis für die tatsächlich im Lande herrschende Stimmung. Russland will nicht kämpfen, es will den Krieg wie einen Alptraum vergessen - und Putin spielt damit. ... Der Präsident spricht jetzt lieber über die Ausgestaltung öffentlicher Räume in Russlands Städten als über die Ukraine. Doch sollten wir uns bewusst sein, dass die Wahl bald vorüber ist, und danach ist auch die Zeit des Populismus vorbei.“
Loyalität als Mittel zum Aufstieg
Der russische Präsident hat auch den Soldaten große Versprechungen gemacht, worauf der Politik-Forscher Igor Gretskiy in Eesti Päevaleht verweist:
„Bald werden wir erleben, dass Menschen, die im Krieg gekämpft haben, in hohe Positionen wie Gouverneure, Vorstandsvorsitzende staatlicher Unternehmen und Mitglieder der Staatsduma berufen werden. Für die Russen ist der Krieg gegen die Ukraine also nicht nur eine weitere Gelegenheit, ihrem Minderwertigkeitskomplex und Chauvinismus Luft zu machen. Der Krieg kann für diejenigen, die die höchste ideologische und politische Loyalität zeigen, zu einem schnellen sozialen Aufstieg werden.“