Immer wieder Neuwahlen: Was ist mit Bulgarien los?
Ursprünglich sollte lediglich das Premierministeramt von der liberalen PP-DB zum konservativen Bündnis Gerb-SDS wechseln – nun ist die Kabinettsbesetzung in Bulgarien ganz gescheitert. Einen erneuerten Regierungsbildungsauftrag gab der bisherige Premier Nikolaj Denkow (PP-DB) am Mittwoch umgehend zurück. Damit droht die sechste Parlamentswahl in drei Jahren, denn der populistischen ITN wird eine Regierungsbildung nicht zugetraut.
Schade um die gute Arbeit
Der bulgarische Dienst der Deutschen Welle bedauert das Scheitern:
„Nur wenige werden sich jetzt daran erinnern, dass diese Regierung in nur neun Monaten dennoch viel erreicht hat: Sie hat Verfassungsreformen durchgeführt, sie hat die Energieabhängigkeit von Russland entscheidend durchbrochen, sie hat das Land an die Schwelle von Schengen und der Eurozone gebracht. Und anstatt darauf aufzubauen, besteht die Gefahr, dass das Erreichte wieder rückgängig gemacht wird. ... Die PP-DB hätte mit Gerb weiter regieren können, wenn nach den Verfassungsänderungen das neue Justizgesetz verabschiedet und die Wahlen für die neuen Mitglieder des Obersten Justizrats sowie der Aufsichtsbehörden ohne politischen Einfluss hätten durchgeführt werden können. Ohne dies wären die gesamten Reformen [unter einem Gerb-Premier] nur Papiertiger geblieben.“
Borissow braucht die Macht
Der Gerb-Chef und mehrfache Ex-Premier Bojko Borissow, gegen den es immer wieder Korruptionsvorwürfe gab, hat das so gewollt, schreibt e-vestnik:
„Neuwahlen sind für ihn profitabler. Reformen werden verschoben, ebenso die Wahl der Mitglieder des Obersten Justizrates, der Regulierungsbehörden und Neubesetzungen in den Geheimdiensten. So kann er weiterhin einen großen Teil des Staates kontrollieren. ... Gerade sieht man es ihm buchstäblich an, dass er immer mehr an Einfluss verliert. Von Tag zu Tag wird er schlanker (davor wurde er immer runder). Seine Hauptsorge ist, dass man ohne ihn einen Generalstaatsanwalt wählt, der ihn dann vor Gericht führt. ... Das ist es, was die großen Medien verschweigen. Es ist wie der Elefant im Raum.“
Europäische Perspektive auf der Kippe
Die andauernde politische Instabilität gefährdet auch das Ziel des Eurozonen-Beitritts für 2025, glaubt der Balkankorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Michael Martens:
„[A]ußer den Maastricht-Kriterien spielt bei einer Aufnahme in den Euroraum auch der politische Gesamteindruck eine Rolle. Und der ist im Fall Bulgariens nicht gut, auch wenn die nun nach nur neun Monaten gescheiterte Koalition in Sofia einige wichtige Justizreformen auf den Weg gebracht hat. Auch das zweite zentrale Ziel des Landes, ein voller Beitritt zur Schengen-Zone, ist in Gefahr. Streiten sich die proeuropäischen Parteien in Sofia innenpolitisch weiter wie bisher, wird Bulgarien mit Blick auf den Schengenraum und die Eurozone einstweilen wohl dort bleiben, wo es unter solchen Umständen auch besser aufgehoben ist: draußen.“