IS-Terror: Hat Europa die Gefahr unterschätzt?
Nach dem Attentat in der Nähe von Moskau, zu dem sich der Islamische Staat (IS) bekannte, wächst auch in anderen Ländern die Sorge vor Anschlägen durch islamistische Terroristen. Frankreich rief die höchste Terrorwarnstufe aus, Bundesinnenministerin Nancy Faeser bezeichnete die Bedrohung durch den IS in Deutschland als "akut". Kommentatoren debattieren, was eine geeignete europäische Antwort sein könnte.
Gemeinsame Antwort auf schwer Greifbares nötig
Dass der IS schwer fassbar ist, erschwert ein geeintes Vorgehen, beobachtet Le Soir:
„Der IS hat genauso viel Grund, den Westen anzugreifen wie Russland, weil er bei verschiedenen Gelegenheiten mit dessen Waffen zusammengestoßen ist. Ob man ihn nun für dem Tode nah oder wiederauferstanden hält, an der Grenze zum Virtuellen, der IS ist immer noch da. ... Es ist per Definition schwierig, ihn zu erfassen und zu neutralisieren, zwischen sozialen Netzwerken, Einzelgängern und Selbstradikalisierten. Die Art und Weise, wie die westlichen Staaten auf das Massaker in der Crocus City Hall reagiert haben, zeigt einmal mehr, wie schwierig es ist, eine gemeinsame Antwort auf etwas zu finden, das zum Teil nicht greifbar ist.“
Der IS war nie weg
Die Gefahr durch die Dschihadisten war nie gebannt, mahnt Die Presse:
„Auch wenn man das in Europa nicht immer wahrhaben wollte: Der IS war nie weg. ... Es scheint eine Bewältigungsstrategie à la 'Aus den Augen, aus dem Sinn' zu sein, die im Westen zuletzt im Umgang mit dem IS angewandt wurde. Doch die Gefahr, die vom IS und von seinen Splittergruppen ausgeht, darf nicht unterschätzt werden. Die zynischen Verführer der Extremisten versuchen alles, um neue Mitglieder anzuwerben – auch in Europa. Vor zehn Jahren missbrauchten sie die schauerlichen Bilder der vom Regime getöteten Zivilisten aus dem Syrien-Krieg, um Jugendliche zu radikalisieren. Heute setzen sie auf neue Propagandamunition, um Menschen zu verführen: das Leid im Gazastreifen.“
Alle Bedrohungen in den Blick nehmen
Jyllands-Posten mahnt zu Wachsamkeit:
„Als die Sowjetunion 1991 zusammenbrach, wurden überzogene Erwartungen an eine friedliche Zukunft geweckt und nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde die Debatte über die Herausforderung aus dem Osten vernachlässigt. Die Debatte um die Verteidigung der Ukraine hat den sicherheitspolitischen Diskussionen jeglichen Sauerstoff entzogen. ... Aber wir müssen in der Lage sein, diese sehr unterschiedlichen Bedrohungen parallel zu bewältigen. Es erfordert Realismus unter den politischen Entscheidungsträgern und eine gemeinsame Bereitschaft, in unsere Sicherheit zu investieren, sonst ist die erschreckende Alternative ein Ereignis wie vor weniger als einer Woche bei einem friedlichen Konzert in Moskau.“
Starke Männer schützen nicht
Es gibt durchaus Wege, die Risiken durch Terrorismus zu verringern, erklärt der Deutschlandfunk:
„Die ebenso arrogante wie zynische Weigerung, die amerikanischen Warnungen ernst zu nehmen, verdeutlicht eine Realität der Terrorismusbekämpfung: Sie ist am erfolgreichsten, wenn befreundete Staaten umfassend kooperieren. ... Oft genug handeln die deutschen Terrorfahnder ... auf Hinweise befreundeter Nachrichtendienste hin, meist sind dies Briten und Amerikaner. Diese Allianzen sind es, die vor Terror schützen. Starke Männer tun es nicht.“
Die Extremsten unter den Extremisten
Der Anschlag in Moskau mache deutlich, wie fundamentalistisch der IS-Khorasan ist, meint Dagens Nyheter:
„In einer Erklärung bezeichnet IS-K die Tat in Moskau als Teil des 'anhaltenden Krieges gegen Länder, die den Islam bekämpfen'. In der Interpretation von Islamisten handelt es sich dabei oft um eine sehr große Gruppe im Sinne von: 'jeder, der sich nicht unserer Definition dessen, was Islam ist, unterwirft'. Unter den Zielen sind viele Menschen, die selbst tiefgläubige Muslime sind, sogar Sunniten wie die IS-Kämpfer selbst, aber in den Augen der Extremisten immer noch nicht treu genug.“
Muslime immer die ersten Verdächtigen
Seit dem 11. September stehen Muslime bei jedem Terroranschlag unter Generalverdacht, bedauert Kolumnist Selahaddin Çakırgil in der islamisch-konservativen Star:
„Wann immer ein Massenmord begangen wird, ist einer derjenigen, die sagen: 'Hoffentlich gibt es niemanden mit muslimischem Namen unter den Angreifern...', der Autor dieser Zeilen. ... Als ich die Nachricht von dem Anschlag auf eine Konzerthalle in Moskau erhielt, hatte ich denselben Wunsch. ... Am 11. September 2001 [...] ist eine weltweite Welle der 'Islamophobie' (Angst vor dem Islam) entstanden... ... Insbesondere seitdem wird überall dort, wo eine Bombe explodiert, wo ein blutiger Anschlag verübt wird, in den Medien als Erstes von 'mutmaßlichen muslimischen Aktivisten' gesprochen.“