Truppen an Grenze zur Ukraine: Was hat Minsk vor?
Weil die Ukraine angeblich bis zu 120.000 Soldaten an der Grenze zu Belarus stationiert habe, hat Machthaber Aljaksandr Lukaschenka nun offenbar Truppen in der Region Homel zusammengezogen. Das meldete das ukrainische Außenministerium. Kyjiw warnte Minsk, keinen tragischen Fehler unter dem Druck Moskaus zu begehen und forderte, die belarusischen Truppen bis hinter die Reichweite ihrer Raketen zurückzuziehen.
Eindruck einer Bedrohung schaffen
Laut Publizist Witalij Portnykow in Espreso liegen Lukaschenkas Pläne auf der Hand:
„Seine Aufgabe ist es, die ukrainischen Streitkräfte abzulenken, um die Lage [der Ukraine] in der Region Donezk und vor allem in der Region Kursk in Russland zu verschlechtern. Bekanntlich hat Wladimir Putin seinen Generälen befohlen, die ukrainischen Truppen schon bis zum 1. Oktober aus der Region Kursk zu vertreiben. Das erfordert nicht nur erhebliche Anstrengungen seitens der russischen Armee, sondern auch eine Verringerung der Zahl der ukrainischen Truppen im Gebiet Kursk. Und Lukaschenka muss nun das Bild einer ernsthaften Bedrohung im Norden unseres Landes schaffen, um die ukrainische Militärführung dazu zu zwingen, beträchtliche Reserven dorthin zu verlegen.“
Signal an die eigene Bevölkerung
Keine unmittelbare Gefahr sieht die taz:
„Wahrscheinlicher ist, dass es sich um eine weitere Facette des Informationskrieges zwischen den Kriegsparteien handelt. Das gilt vor allem für die belarussische Seite – will heißen den autokratischen Dauerherrscher Alexander Lukaschenko. Der ergeht sich in vollkommen abwegigen Verschwörungsfantasien. Eine lautet, dass Belarus zum Opfer eines Angriffs der Nato-Staaten ... oder der Ukraine werden könnte. ... Mit der vermeintlichen personellen Aufrüstung an der Grenze kann sich Lukaschenko gegenüber der eigenen Bevölkerung (eine große Mehrheit lehnt den Krieg ab) wieder als 'Leader' präsentieren, der sein Land schützt und alles tut, um eine Beteiligung von Belarus an diesem Krieg zu verhindern. Dabei ist Minsk längst mittendrin.“
Ein Winden und Lavieren
Für Lukaschenka ist ein aktiver Kriegseintritt hochriskant, schreibt Rzeczpospolita:
„In der Frage einer aktiven Beteiligung am Krieg windet sich der Diktator und laviert. Er hat Angst, dass er mit der Entsendung seiner Truppen auf Kyjiw sein eigenes Todesurteil unterschreibt. Denn auch die Chancen auf eine Art belarusischen Blitzkrieg sind gering. Den völlig unerfahrenen Belarusen stünden ukrainische Veteranen gegenüber, die mit westlichen Waffen ausgerüstet sind. Würde die Unterstützung von Putins Armee, die an anderen Abschnitten der Frontlinie gebunden ist, ausreichen? Das bliebe abzuwarten.“
Auch Litauen bleibt gefährdet
Alfa-Journalist Audrius Rusteika betont, dass Lukaschenkas Aktionen vom Kreml gesteuert werden:
„Vollkommen in Ruhe können wir in der Nähe eines solchen Russlands, wie es jetzt ist, wirklich nicht leben. Erinnern wir uns an den hybriden Angriff, bei dem illegale Migranten künstlich aus Belarus nach Litauen gedrängt wurden. Das war definitiv nicht nur eine List von Belarus. Ohne den geringsten Zweifel steckten Russlands Hände hinter dieser Aktion, die in unserem Land eine beträchtliche Krise ausgelöst hat. Ähnliche Angriffe könnten uns definitiv erwarten.“