Litauen: Wähler votieren für Machtwechsel
Die Sozialdemokraten haben mit 52 Sitzen die zweite Runde der Parlamentswahl in Litauen vor der bisher regierenden TS-LKD (konservativ, 28 Sitze) gewonnen. Nun planen sie eine Dreierkoalition mit Vardan Lietuvos (Mitte-links/grün) und einem noch offenen dritten Partner. Drittstärkste Kraft wurde die nationalistisch-populistische Nemuno aušra. Wie ist das Ergebnis zustande gekommen und wie könnte es weitergehen?
Vor allem eine Abwahl der bisherigen Regierung
Verslo žinios analysiert:
„Die Verteilung der Stimmen zeigt ein klares Bild: Die Sozialdemokraten werden bei der Bildung der Regierungskoalition einen absoluten Spitzenplatz einnehmen. ... Jedoch sagen politische Analysten, dass viele Menschen nicht für etwas, sondern gegen etwas gestimmt haben – gegen die Konservativen. ... Unterdessen geht das Intrigenspiel um den Premierministerposten weiter. Die Vorsitzende der Sozialdemokraten [die Europaabgeordnete Vilija Blinkevičiūtė] spielt weiterhin Verstecken und schlägt vor, erst einmal abzuwarten. Aber je mehr Zeit vergeht, desto klarer wird, dass die First Lady das Amt meidet – ein stiller Rückzug nach Brüssel ist zu erwarten.“
Eine typisch litauische Wahl
Politikwissenschaftler Ramūnas Vilpišauskas resümiert in 15min:
„Erstens kann die neue Regierungskoalition aus drei Parteien bestehen und über die gesamte Legislaturperiode stabil bleiben. Zweitens hat die Fragmentierung im Seimas nicht zugenommen – im Gegenteil, die Zahl der Fraktionen könnte von derzeit acht auf sieben sinken. Drittens wird erneut eine Zentrumspartei durch eine andere Zentrumspartei an der Spitze der Regierungskoalition ersetzt. ... Viertens hat ein weiteres wiederkehrendes Phänomen in der litauischen Politik – der Aufstieg neuer Parteien – diesmal die [nationalistische] Partei Nemuno aušra in den Seimas gebracht, aber es kann gut sein, dass sie nach den nächsten Parlamentswahlen wieder verschwindet (und Mitglieder ihrer Fraktion davor zu anderen Parteien überlaufen).“
Weniger Unterstützung für Kyjiw?
Ukrajinska Prawda analysiert, wie sich ein Regierungswechsel auf die Ukraine auswirken könnte:
„Es ist von keiner litauischen Regierung zu erwarten, dass sie die Außenpolitik grundsätzlich ändern würde. ... Zumal die Außenpolitik in Litauen traditionell nicht in den Zuständigkeitsbereich der Regierung, sondern in den des Präsidenten fällt. Gleichwohl haben die Sozialdemokraten ihren Sieg vor allem dadurch erreicht, dass sie der amtierenden Regierung vorwarfen, sich zu sehr mit internationaler Politik zu beschäftigen – zum Nachteil der eigenen Bürger. Das birgt das Risiko, dass die neue litauische Regierung in puncto Unterstützung Kyjiws und Bestrafung Russlands nicht gleichermaßen eine Führungsrolle einnehmen wird, wie es die Konservativen getan haben.“
Keine Kreml-Freunde weit und breit
Auch Neatkarīgā analysiert das Ergebnis in Bezug auf die künftige Haltung Litauens zu Russland:
„Als Nachbarland Litauens ist Lettland vor allem am außenpolitischen Kurs der neuen litauischen Regierung interessiert. Da können wir ruhig sein. In Litauen gibt es, ähnlich wie in Polen, keine ernsthaften, politisch bedeutsamen Kräfte, die auch nur teilweise Russland-orientiert sind. Das hindert die Verlierer der Wahlen nicht daran, die Gewinner als kremlfreundlich und staatsfeindlich zu bezeichnen, aber das ist nur ein Teil des politischen Spiels. Gut möglich, dass der neue Außenminister, wer auch immer es wird, [den bisherigen Amtsinhaber] Landsbergis in seiner Anti-Putin-Rhetorik nicht übertreffen kann, aber im Wesentlichen dürfte sich nichts ändern.“