Moldau: Was bedeutet der Wahlsieg von Maia Sandu?
Maia Sandu bleibt Präsidentin in Moldau. Bei der Stichwahl lag die prowestliche Staatschefin rund zehn Prozentpunkte vor dem prorussischen Herausforderer Alexandr Stoianoglo. Bei einem parallel zum ersten Wahlgang durchgeführten Referendum am 20. Oktober hatte sich eine hauchdünne Mehrheit der Bürger dafür ausgesprochen, den EU-Beitritt als unabänderliches Ziel in die Verfassung zu schreiben. Kommentatoren schauen besorgt auf ein gespaltenes Land.
Tiefgreifende Reformen kaum möglich
Die bevorstehende Amtszeit wird für die Präsidentin keine einfache werden, erläutert G4Media.ro:
„Es ist spürbar, dass Maia Sandu ein zutiefst gespaltenes Land anzuführen hat. Ohne die Stimmen der Moldauer, die das Land verlassen haben, wäre Sandu nie Präsidentin geworden. Der pro-russische Kandidat [Alexandr Stoianoglo] hätte die Mehrheit der Stimmen gewonnen. Anders gesagt, die Unterstützerbasis von Sandu im Land ist fragil, die Mehrheit ist sogar gegen sie. Tiefgreifende Reformen sind in einer derart angespannten politischen Situation nur schwer zu verwirklichen. Man weiß auch nicht, ob die Diaspora sich beim nächsten Mal genauso mobilisieren lässt, sodass Sandu stets darauf achten muss, einen Teil der Bevölkerung nicht noch feindseliger zu stimmen.“
Rumänien steht als starker Partner zur Seite
Kirill Martynow, Chefredakteur der Nowaja Gaseta Ewropa, verweist auf die besondere Rolle Rumäniens für Moldau:
„Moldau hat mit Rumänien einen starken historischen Partner in Europa. ... Gespräche über eine Vereinigung beider Länder sind schon lange ein Faktor in der Politik Chișinăus, wobei die Aussicht auf eine Vereinigung von prorussischen Politikern und Vertretern ethnischer Minderheiten als Bedrohung verkauft wird. Mit dem EU-Beitritt entfällt dieser Faktor – Moldau bleibt ein unabhängiger Staat, erhält aber die Möglichkeit, gemeinsame Projekte mit Rumänien anzugehen. Andere Länder, die der Kreml in seine Einflusssphäre zurückholen will, haben kein so offensichtliches Gegengewicht, wie es Bukarest im Falle Moldaus ist.“
Schluss mit den leeren Versprechungen
Nun ist die EU am Zug, fordert La Repubblica:
„Die Geschehnisse in Moldau und Georgien erinnern uns an die beiden Mindestvoraussetzungen für einen erfolgreichen EU-Beitritt: die Entschlossenheit der Regierungen der Mitgliedstaaten sowie die Unterstützung durch Parlamente und öffentliche Meinung. … Die EU wiederum muss sicherstellen, dass neue Erweiterungen die ohnehin schon komplexen und ineffizienten internen Entscheidungsprozesse nicht noch weiter erschweren. Daher ist es dringend erforderlich, die Funktionsweise der europäischen Institutionen zu reformieren, die unabdingbare Voraussetzungen für den Erfolg neuer Erweiterungen sind. ... Die Union kann sich nicht den Luxus leisten, weiterhin Versprechungen zu machen, die sie nicht einhalten kann.“
Realistische Hilfe nötig
Moldau jetzt eine EU-Mitgliedschaft zu versprechen, wäre falsch, stellt die Frankfurter Allgemeine Zeitung klar:
„Die EU ist auf absehbare Zeit nicht erweiterungsfähig. Ihre Entscheidungsprozesse könnten ein weiteres vetoberechtigtes Vollmitglied, ob groß oder klein, nicht gut verkraften. Zudem ist das prorussische Sentiment in Moldau weiter stark, wie zuletzt das fast gescheiterte moldauische EU-Referendum vor zwei Wochen gezeigt hat. Nötig ist realistische und nachhaltige Hilfe für Moldau. Etwa durch den massiven Ausbau der Verkehrsverbindungen nach Rumänien, mit dem es historisch eine Einheit bildet.“
Das gefährliche Bild eines zweigeteilten Landes
Das Abstimmungsverhalten in unterschiedlichen Landesteilen besorgt Florin Negruțiu auf republica.ro:
„Der größte Sieg Russlands in der Republik Moldau besteht darin, ein Bild eines zweigeteilten Landes zu vermitteln und den Eindruck eines Bürgerkrieges zu erwecken. Es gibt Bezirke in Moldau, da wurde wie in Russland gewählt. In Moskau sah ich eine Wahlkarikatur mit sowjetischen Tänzen, Liedern und Moldauern, die davon träumen, in der UdSSR zu leben. In der Republik Moldau schockieren der Kontrast zu Gagausien (wo Stoianoglo 97 Prozent holte), Taraclia (für Stoianoglo 94 Prozent), Ocnița (74 Prozent), Briceni (71 Prozent) oder Edineț (67 Prozent). Für Maia Sandu und Europa haben die Hauptstadt Chișinău und die Diaspora gestimmt.“
Pro-europäische Diaspora ist nicht käuflich
Der Analyst Laurențiu Pleșca betont auf agora.md die wirtschaftliche und politische Bedeutung der im Ausland lebenden Moldauer für ihr Land:
„Die Diaspora spielt durch ihre Geldsendungen und Investitionen in lokale Unternehmen eine zentrale Rolle für die Entwicklung Moldaus. Auch wenn sie fernab leben, halten die Moldauer der Diaspora Kontakt mit ihrem Land, tragen durch ihre Stimmabgabe aktiv zum demokratischen Prozess bei. Ihre Stimme kann nicht, wie die Stimmen zu Hause, gekauft werden. Die Diaspora hat oft Wahlergebnisse zugunsten pro-europäischer Reformen beeinflusst, weil sie wollen, dass Moldau zur europäischen Gemeinschaft gehört. … Der Grund, warum die Mehrheit pro-europäisch stimmt, ist: Sie wollen mit ihrer Stimme Europa zu sich nach Hause bringen.“
Die EU darf nicht aufgeben
Dass EU-Befürworter bei Referendum nur knapp gewonnen haben, sollte der EU zu denken geben, warnt La Croix:
„Das zeigt, wie leicht die von der europäischen Perspektive geweckten Hoffnungen an der Realität eines schwierigen Alltags und an den von Moskau aus gesteuerten Informationsmanipulationen zerschellen. ... Die europäische Unterstützung für Kyjiw ist ungebrochen, reicht aber nicht aus, um einen Sieg zu erringen. Zwei Jahre nach der gewaltigen Welle der Solidarität, die sich von West nach Ost über den gesamten Kontinent erstreckte, dominieren Zweifel und Ermüdung. ... Die EU darf jedoch nicht in Resignation verfallen. ... Die Zukunft unserer Demokratien entscheidet sich weiterhin in diesen Grenzgebieten, die dem russischen Imperialismus gegenüberstehen. Der Widerstand muss entschlossen und hartnäckig sein.“
Friedenskurs besser kommunizieren
Sandu hätte im Wahlkampf ihre Position noch viel deutlicher machen sollen, kritisiert der Rumänische Dienst der Deutschen Welle:
„Jene, die dem Wahlteam der Staatschefin vorwerfen, man hätte das russische Narrativ 'Maia Sandu bedeutet Krieg' nicht genügend bekämpft, haben Recht. Denn Sandu hat den Wähler nicht erklärt, dass es genau umgekehrt ist. Sie hat auch nicht ausreichend die Bemühungen der aktuellen Regierung kommuniziert, den Frieden in der Republik Moldau zu erhalten. Wir waren froh, in solch schweren Zeiten nicht mehr [den pro-russischen Ex-Präsidenten Igor] Dodon an der Spitze des Staates zu haben, der eine Rotation und Konsolidierung der russischen Truppen in Transnistrien für einen Angriff auf die Ukraine von der Rückseite zugelassen hätte.“