Wo steht Frankreich nach dem Regierungssturz?

Nach der Abwahl der französischen Regierung hat Staatspräsident Emmanuel Macron Forderungen nach einem Rücktritt eine Absage erteilt. Er werde sein Mandat bis zum Ende seiner Amtszeit 2027 ausüben und einen neuen Premier ernennen, der eine "Regierung des allgemeinen Interesses" bilden solle, erklärte Macron in einer Ansprache an die Nation. Kommentatoren debattieren, was jetzt zur Stabilisierung des Landes nötig wäre.

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Le Point (FR) /

Monsieur le président, treten Sie nicht zurück!

In einem offenen Brief an den Staatspräsidenten drängt Kolumnist Brice Couturier in Le Point Emmanuel Macron, im Amt zu bleiben:

„In der internationalen Konjunktur, angesichts des Krieges, den Russland in der Ukraine führt, und des hybriden Krieges, den diese revanchistische Macht gegen die Gesamtheit der europäischen Nato-Mitgliedsländer führt, wäre es beruhigend zu wissen, dass Sie als Verantwortlicher für unsere Außen- und Verteidigungspolitik im Elysée-Palast sitzen. Das ist der erste Grund, der mich Sie darin bestärken lässt, trotz des beharrlichen Drucks der LFI-Spitze in diese Richtung nicht von Ihrem Amt zurückzutreten. Der zweite Grund ist, dass Ihre Legitimität und die der Abgeordneten im Parlament, die aus spezifischen Wahlen herrühren, unterschiedlich sind.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Zeit für eine Expertenregierung

Angesichts der herrschenden Mehrheitsverhältnisse hält die Neue Zürcher Zeitung eine überparteiliche Ministerrunde für die beste Lösung:

„Einen Regierungschef und ein Kabinett also, dessen Mitglieder nicht parteigebunden sind oder zumindest über Parteigrenzen hinaus Respekt geniessen. Was in Italien schon mehrmals vorkam, wäre für Frankreich ein Experiment. Aber es scheint derzeit die beste Lösung zu sein. Denn die letzten Monate haben gezeigt, dass die dominanten Parteien in der Assemblée nicht bereit sind, sich im Interesse des Landes zusammenzuraufen und Kompromisse einzugehen – nicht einmal, wenn es um so etwas Grundsätzliches wie ein Budget geht. Eine Expertenregierung könnte eine Zeitlang für Stabilität sorgen, weil sie für einen – wenn auch kleinen – Konsens steht.“

Dnevnik (SI) /

Le Pen pokert hoch

Dnevnik beleuchtet die Rolle Marine Le Pens beim Sturz der französischen Regierung:

„Angeblich hat sich Le Pen für den Sturz von Barniers Regierung auch deshalb entschieden, weil sie durch die politische Destabilisierung Macron zum Rücktritt bewegen und bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen siegen will. Also noch bevor das Gericht sie am 31. März zu einem Verbot politischer Betätigung verurteilen könnte, weil sie ihre Partei in Frankreich mit dem Geld finanzierte, mit dem die Assistenten der Europaabgeordneten bezahlt werden sollten. Doch könnte Le Pen zur Hauptschuldigen für die Verschärfung der Finanz- und Wirtschaftskrise werden, die durch die politische Krise und den Misstrauensantrag gegen die Regierung noch verschärft wird.“

Le Figaro (FR) /

Franzosen müssen sich selbst revolutionieren

Der vielfach geforderte Rücktritt Macrons löst die Krise nicht, erklärt Jean-Eric Schoettl, der frühere Generalsekretär des französischen Verfassungsrats, in Le Figaro:

„Wir erleben die Sprengung eines Überzeugungssystems, das unser politisches Leben bipolar strukturierte. Bei Wahlen hatte das vielfache Folgen: nicht zu findende Mehrheiten, mehr ablehnende als unterstützende Stimmen. Dass die politische Krise mit einer institutionellen einhergeht, liegt nicht daran, dass die Institutionen versagen, sondern dass sie sich abmühen, die Multipolarisierung zu begleiten. ... Welcher Ausweg bietet sich? Nicht der Rücktritt des Präsidenten, Verhältniswahlrecht oder partizipative Demokratie, sondern eine Revolution, die jeder von uns nachzuvollziehen hat: den Sinn der gemeinsamen Zugehörigkeit zur Nation wiederfinden; das Allgemeinwohl über unsere Streitereien stellen.“

De Telegraaf (NL) /

Schuldenberg dringend abbauen

De Telegraaf mahnt Frankreich, sein Haushaltsproblem zu lösen:

„Hier stehen die Interessen der Eurozone auf dem Spiel. Wenn Frankreich das neue Griechenland wird, dann ist die wirtschaftliche Katastrophe nicht zu übersehen. ... Die französische Politik wird Zeit brauchen, um aus der Sackgasse zu kommen. Aber die Botschaft aus Brüssel wird konsequent sein müssen. Die Regierung ist über den Haushalt gestürzt, aber das Land kommt nicht darum herum, finanziell Ordnung zu schaffen. ... Unsere Währungsunion ist nur glaubwürdig, wenn alle Länder sich an die Vereinbarungen halten.“