Russischer General getötet: Wie ist das zu bewerten?
General Igor Kirillow ist am Dienstag durch einen Sprengstoff-Anschlag vor seinem Wohnhaus in Moskau getötet worden. Erst am Vortag hatte der ukrainische Geheimdienst SBU dem für atomare, biologische und chemische Kampfmittel zuständigen General Kriegsverbrechen vorgeworfen und formell Ermittlungen zu Kampfgaseinsätzen in der Ukraine eingeleitet. Europas Presse ordnet ein.
Er war ein Kriegsverbrecher
Aus Sicht von gazeta.ua war Kirillow ein legitimes Ziel:
„Der Tote war ein Kriegsverbrecher – auf seinen Befehl hin erhielten die russischen Angreifer das Gas Chlorpikrin, dessen Nutzung zu Kampfzwecken verboten ist, und setzten es wiederholt gegen die ukrainischen Truppen ein. Videoaufnahmen von ihren Verbrechen stellten sie ins Netz. Aus diesem Grund hat der SBU Kirillow angeklagt.“
Grund zur Sorge in Moskau, aber nicht entscheidend
Hospodářské noviny kommentiert:
„Bei General Kirillow handelte es sich um einen hochrangigen Militär, der eine ganze Armeegattung befehligte – also um den bisher ranghöchsten russischen Soldaten, der (sehr wahrscheinlich) von den Ukrainern eliminiert wurde. Dass die Ukraine Moskau mit solcher Präzision angreifen kann, muss für die russische Führung äußerst besorgniserregend sein – aber leider wird es die Dynamik des Krieges nicht ändern. Erst der Tod eines Mannes würde daran etwas ändern, doch seit Februar 2022 versteckt er sich in seinen zahlreichen Bunkern und empfängt Besucher an seltsam langen Tischen.“
Geheimdiensttaktiken als Spezialwaffe
La Repubblica analysiert den Umstand, dass ukrainische Quellen diesmal offen über die Urheberschaft des Geheimdienstes SBU berichten:
„'Israelische Techniken', sagen die ukrainischen Analysten und zitieren damit das Zauberwort, das am häufigsten von denen verwendet wird, die den Weg weisen wollen, wie man sich gegen die Russen verteidigen soll: nicht die Nato anflehen, sondern die Gesellschaft in eine Kriegsmaschine verwandeln, die überall zuschlagen kann. Diesmal muss man keine dubiosen Formulierungen bemühen, um die Urheberschaft zu benennen. ... 'Das Bombenattentat ist eine Spezialoperation der SBU', reklamieren offen Quellen der Agentur. ... Wenn es etwas gibt, was die Geheimdienste normalerweise nicht tun, dann ist es, sich selbst skrupellose Aktionen zuzuschreiben.“
Den "Angelsachsen" in die Schuhe geschoben
The Independent beobachtet:
„Auch hohe Beamte sind ersetzbar. Wenn jedoch gezeigt wird, dass solche hochrangigen Beamten persönlich verwundbar sind, kann dies dem Ansehen eines Regimes schaden und die Moral des Feindes noch mehr schwächen. Die Tatsache, dass russische Sprecher die 'Angelsachsen' für die Ermordung von Generalleutnant Kirillow vor einem Wohnhaus in der russischen Hauptstadt verantwortlich machten, ist ein Zeichen dafür, dass der Kreml nicht zulassen will, dass die Ukraine die volle Anerkennung für seine Ermordung erhält. Es ist besser, James Bond die Schuld zu geben, als zu akzeptieren, dass der verhasste ukrainische Feind in der Lage ist, selbst in Moskau zuzuschlagen.“
Vergeltungsschläge lassen uns immer kälter
Der Krieg hat uns alle verändert, beobachtet Interia besorgt:
„Der ehemalige Präsident und aktive Propagandist Dmitri Medwedew hat Rache angekündigt. Man weiß aber auch so schon, dass auf erfolgreiche ukrainische Aktionen aus Russland Vergeltungsmaßnahmen folgen, die in der Regel Zivilisten zum Ziel haben. Die Reaktionen auf die spektakuläre Aktion in Moskau zeigen, wie sehr wir uns – leider – an den Krieg gewöhnt haben. Innerhalb weniger Jahre hat uns der Krieg verändert und wir merken es nicht einmal. Der anfängliche Schock ist überwunden, durch die Medien gebändigt und... das Leben geht weiter.“