Rücktritt des Premiers: Was passiert in Serbien?
Unter dem Druck der seit Monaten anhaltenden Demonstrationen ist am Dienstag der serbische Premier Miloš Vučević zurückgetreten. Dieser gilt als enger Vertrauter von Präsident Aleksandar Vučić, dem mächtigsten Mann im Staat. Europas Presse schaut auf die Proteste, die begannen, nachdem im November durch den Einsturz des Vordachs eines renovierten Bahnhofs in Novi Sad 15 Menschen getötet worden waren.
Bauernopfer wird Proteste weiter anheizen
Für Večernji list ist klar:
„Diese ganze Show mit dem Rücktritt des Premiers ist lediglich einer von vielen Versuchen, den serbischen Präsidenten zu retten, dessen Regime von den Studentenprotesten aufgerüttelt wurde, die eine breite Unterstützung in Serbien erhalten haben. ... Obwohl Vučević die mächtigste Position, die des Premiers, im Staate innehatte, handelt es sich um eine politisch völlig irrelevante Figur, so irrelevant wie die gesamte Regierung, die er anführte. ... Von daher wird diese Show die Öffentlichkeit nicht besänftigen, sondern nur noch mehr Menschen auf die Straßen bringen.“
Der Westen stützt Vučić
Behauptungen, die Proteste seien aus dem Ausland gesteuert, hält Vreme für lächerlich:
„Falls dem je so war, sind die Zeiten längst vorbei. Vučić wird heute von Washington, Berlin und Paris umworben, als 'Stabilitätsfaktor' gelobt, während dieser die Übergabe des Kosovo anbietet, Granaten für die Ukraine, Lithium, lohnende Ausschreibungen und Steuer-Milliarden für Kampfjets. Demokratie, Institutionen, Freiheit – werden in Serbien als vergänglich behandelt, als Störung der Deals mit Vučić. ... Es war nie sinnloser, die Kritiker Vučićs in Russophile und Europäer zu teilen, in Kosovo-Fanatiker und Fürsprecher der Nato, in Traditionalisten und Liberale. Sie sind alle im selben Boot und sie haben nur einander.“
Ein neues Ausmaß an Unzufriedenheit
Die Lage ist spürbar anders als bislang, beobachtet Rzeczpospolita:
„Bisher konnte die Regierung Proteste eindämmen, indem sie nicht nur die Wortführer verhaftete, sondern auch Propaganda betrieb und die Demonstranten verunglimpfte. Diesmal ist es anders, nicht nur wegen des Ausmaßes der sozialen Unzufriedenheit, sondern auch wegen der Arroganz der Regierung.“
Das Kräftemessen geht weiter
Die Zeiten in Serbien werden wohl unruhig bleiben, meint der Tages-Anzeiger:
„Vucic wurde oft mit zum Teil heftigen Protesten konfrontiert. Doch stets hat er es geschafft, sich und seine Macht zu retten. … Als Alleinherrscher setzt und verschiebt der gewiefte Stratege Vucic die Funktionäre seiner Partei wie Schachfiguren. Gleichzeitig zeigte er sich bereit, Studenten und andere Demonstranten, die von der serbischen Justiz verfolgt werden, zu begnadigen. Wird das die Gemüter beruhigen? Kaum. Die Rücktritte kommen zu spät, und die Wut wird bestehen bleiben. … Am Dienstag gab es keine Anzeichen dafür, dass die Proteste bald aufhören könnten. … Das Kräftemessen in Serbien geht weiter.“
Es geht um den Präsidenten
Der Rücktritt des Premiers wird die Demonstranten nicht beruhigen, ist sich auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung sicher:
„Denn ... sie [verlangen] viel mehr als nur die Benennung Verantwortlicher. Sie wollen einen grundlegenden Wandel ... , weil das tödliche Unglück und die Reaktion der Regierung von Präsident Aleksandar Vučić ... zu einem Symbol für die Folgen von Korruption und unkontrollierter Macht geworden sind. Der Unmut darüber ist der gemeinsame Nenner der Protestwellen, die Serbien in den vergangenen Jahren aus ganz unterschiedlichen Anlässen erlebt hat. Sie alle fließen in dieser Bewegung zusammen. Und da Präsident Vučić die serbische Politik in den vergangenen Jahren ganz auf seine Person ausgerichtet hat, geht es letztlich um ihn.“