Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator

US-Präsident Trump hat seinen ukrainischen Amtskollegen heftig attackiert und unter Druck gesetzt. Als "Diktator ohne Wahlen" solle sich Wolodymyr Selenskyj hinsichtlich seiner Bedingungen für ein Kriegsende "besser schnell bewegen", sonst werde ihm "kein Land mehr bleiben". Trumps Attacken folgen auf sein Telefonat mit Kremlchef Putin und das US-russische Außenministertreffen in Riad. Europas Presse weist sie in Stil und Inhalt mehrheitlich empört zurück.

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Aftonbladet (SE) /

Getrieben von Rachegelüsten

Für Aftonbladet zeigen die Verbalattacken, dass Trump mit Selenskyj noch eine Rechnung offen hat:

„Berichten zufolge ist Trump verärgert darüber, dass die Ukraine den von den USA in der vergangenen Woche vorgelegten 'Friedensvorschlag' abgelehnt hat. ... Aber Trumps Rachegelüste reichen noch weiter zurück. Die Beziehungen zu Selenskyj sind seit 2019 angespannt, als Trump ihn bat, gegen den Sohn von Joe Biden, Hunter Biden, zu ermitteln. Das war vor den US-Präsidentschaftswahlen 2020, Hunter Biden arbeitete damals für ein ukrainisches Energieunternehmen. Es ist durchaus verständlich, dass Donald Trump immer noch wütend darüber ist, dass Selenskyj keine Ermittlungen eingeleitet hat, um ihm bei der Wahl zu helfen. Und Fakt ist: Donald Trump vergisst alte Kränkungen nicht.“

Petro Oleshchuk (UA) /

Hindernis bei der Annäherung an Moskau

Politologe Petro Oleschtschuk analysiert Trumps geopolitisches Kalkül in Facebook:

„Trump gibt die Ukraine gezielt auf, aber nicht, weil er sauer auf die Ukraine oder den ukrainischen Präsidenten wäre. Trump will die Beziehungen zu Russland neu aufrollen, sie gut gestalten und den Handel intensivieren, weil er darin nicht nur einen Vorteil angesichts der russischen Ressourcen sieht, sondern auch die Möglichkeit, China durch den Wegfall eines wichtigen chinesischen Satellitenstaates zu schwächen. Die Ukraine ist ein natürliches Hindernis auf diesem Weg, das es zu beseitigen gilt. Aber einen großen demokratischen Staat einfach so aufzugeben, wäre irgendwie 'nicht in Ordnung', also muss man ihn zunächst diskreditieren.“

The Spectator (GB) /

Kein Unschuldslamm

Die Schattenseiten des ukrainischen Präsidenten dürfen bei aller Solidarität mit ihm nicht ignoriert werden, mahnt Kolumnist Freddy Gray in The Spectator:

„In unserem Eifer, den Mann in Militärkleidung zu verteidigen, übersahen wir die schäbigeren Aspekte seiner politischen Führung. Die Pandora Papers, die seine Verbindungen zu zwielichtigen Offshore-Bankkonten belegen, wurden vergessen. Seine Verbindungen zu zutiefst korrupten und betrügerischen Oligarchen wie Ihor Kolomojskyj wurden unter den Teppich gekehrt. Seine rücksichtslose Unterdrückung von mit Moskau verbundenen religiösen Gruppen wurde als 'Desinformation' des Kremls abgetan.“

Stuttgarter Zeitung (DE) /

Ein Sheriff der besonderen Art

Was Donald Trump zur Ukraine sagt, ist ein Skandal, empört sich die Stuttgarter Zeitung:

„Es eine Verzerrung der Wirklichkeit zu nennen, wäre eine Untertreibung. Der mächtigste Mann der Welt verbreitet Fake News. ... US-Vizepräsident J.D. Vance hat kürzlich davon gesprochen, dass es mit Trump nun einen neuen Sheriff gebe. Das Verhalten der Regierung in Washington gegenüber der Ukraine gleicht aber dem eines Polizisten, der dem Opfer eines bewaffneten Einbruchs sagt: 'Was wollen Sie von mir? Warum haben Sie nicht dem Einbrecher angeboten, künftig in ihrem Wohnzimmer auf der Couch zu schlafen?' ... Trump – das ist klar – ist kein Sheriff, der sich ernsthaft dafür interessiert, Ordnung zu schaffen. Er ist einer, der seine Macht für eigene Interessen nutzen will.“

republica.ro (RO) /

Nachbeten von Kreml-Propaganda

Auch republica.ro ist entsetzt:

„Heute erfahren wir von Donald Trump, dass Amerika die Ukraine mit 350 Milliarden Dollar unterstützt hat – in einem Krieg, 'den sie niemals gewinnen konnte'. … Zudem sagt uns Trump, dass der 'Schauspieler' Selenskyj für den Tod so vieler Ukrainer verantwortlich sei, und noch nicht einmal Wahlen in Kriegszeiten abhalte, was ihn zum Henker seines eigenen Landes und zu einem Diktator von Weltrang mache. ... Trump ist eine Art Putin, der aber eher bereit ist, sich öffentlich zu exponieren als das Männchen aus dem Kreml. Trump übernimmt die gesamte Agenda der russischen Propaganda – wobei Wahlen in Kriegszeiten nicht einmal legal sind.“

La Repubblica (IT) /

Adieu, westliche Werte

La Repubblica spricht von Verrat:

„Jeder Führer, der Kyjiw besuchte, sagte den Ukrainern, dass sie für die Freiheit des gesamten Westens kämpfen. Diese Worte wurden als konkrete Zusage des Beistands verstanden. ... Donald Trump hat das Versprechen weggefegt, das sie drei Jahre voller Opfer durchhalten ließ. Der US-Präsident benutzte dieselben Phrasen wie der russische und verwischte damit die Grenze zwischen Demokratie und Autokratie. Die Werte, an die die Ukrainer seit der Revolution auf dem Maidan glauben, wurden verhöhnt: ihr Wunsch, sich von allen Bindungen an den Kreml zu lösen und die europäische Identität ihrer Nation zu bekräftigen. ... Es ist der Verrat an einem Bündnis, das nie militärisch war, sondern aus einer gemeinsamen Vision der Geschichte geboren wurde, für die Hunderttausende von Menschen Blutzoll gezahlt haben.“

Večernji list (HR) /

Moskau voll auf den Leim gegangen

Warum Trump nun gegen Selenskyj schießt, erklärt Večernji list so:

„Selenskyj würde nie Territorium aufgeben, genau wie Vučić nie das Kosovo hergeben würde. Das ist der Grund, warum Trump nun alles tut, um Selenskyj zu eliminieren, indem er rechtswidrige Präsidentschaftswahlen in Kriegszeiten erzwingt. ... Trump erfüllt alle Wünsche, die Putin äußert, ohne sich bewusst zu sein, dass Putin damit nie zufrieden sein wird und dass ein solches Russland lediglich auf die nächste Gelegenheit wartet, dort weiterzumachen, wo es aufgehört hat.“

Nikolai Mitrochin (RU) /

Selber schuld

Politologe Nikolai Mitrochin findet auf Facebook, dass Selenskyj Trumps Vorwürfe mit der Verweigerung des großen Rohstoff-Deals provoziert hat:

„Selenskyjs komplettes diplomatisches Scheitern in den Beziehungen zu den USA unter Trump ist das Ergebnis von Selenskyjs 'diplomatischen Talenten' ... Zunächst wirft Selenskyj die 'geniale Idee' in den Ring, das ukrainische Potenzial an Seltenen Erden gegen US-Hilfe und Schutz einzutauschen - und rechnet nicht mit etwas Konkretem, doch dann bekommt er einen Vertrag vorgelegt. Er weigert sich, ihn zu unterzeichnen. Und dann stellt sich heraus, dass es nicht nur Selenskyj ist, der Partner unter Druck setzen und Gemeinheiten sagen kann.“

The Spectator (GB) /

Ukrainer stellen sich hinter Selenskyj

Trumps Tiraden dürften eine unbeabsichtigte Wirkung haben, meint The Spectator:

„Die Ukrainer mögen es nicht, wenn ausländische Staats- und Regierungschefs ihnen sagen, was sie zu tun haben - egal ob es Wladimir Putin oder Donald Trump ist. ... Es ist wahrscheinlich, dass sich Selenskyjs Zustimmungswerte verbessern werden, wenn Trump die Argumente des Kremls nachplappert. Ukrainische Oppositionelle stellen sich bereits auf Selenskyjs Seite. ... Seine Weigerung, die Ressourcen der Ukraine an Trump zu übergeben, wird von den Ukrainern weitgehend unterstützt. Wenn überhaupt, bedeutet Selenskyjs Widerstand gegen Trump, dass die Wähler eher bereit sind, über seine innenpolitischen Fehltritte hinwegzusehen, bis der Krieg vorbei ist.“