Vance-Rede in München: So reagiert Europas Presse

Im Rückblick auf die am Sonntag zu Ende gegangene 61. Münchner Sicherheitskonferenz treibt die europäischen Medien vor allem die Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance um. Die größte Gefahr für Europa komme nicht aus Russland oder China, sondern von innen, hatte Vance am Freitag gesagt und Europa eine Abkehr von einigen seiner grundlegendsten Werte vorgeworfen. Was passiert gerade mit dem transatlantischen Verhältnis?

Alle Zitate öffnen/schließen
eldiario.es (ES) /

Tiraden gegen den äußeren und inneren Feind

Die Trump-Regierung wünscht sich ein Ende der EU, ist sich eldiario.es sicher:

„Der europäische Rechtsstaat ist formell ein äußerer, materiell aber ein innerer Feind. Er ist eine Alternative zu dem von der amerikanischen extremen Rechten vertretenen Projekt und muss daher entschlossen bekämpft werden. Das ist es, was die EU von den anderen Ländern der Welt unterscheidet. ... Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, sie abzuschaffen. ... Es ist mehr als vorhersehbar, dass die USA auf jeden einzelnen Mitgliedstaat der Union mit dem Ziel zugehen werden, eine bilaterale Beziehung zu unterhalten. ... Jetzt geht es um das Überleben der EU. ... Entweder wir stellen uns der Situation jetzt, oder wir werden Zeuge des Zerfalls der Union.“

Sabah (TR) /

Krieg der Ideologien

Historische Vergleiche zieht Sabah:

„Nach dem geopolitischen Erdbeben durch die Ausbrüche von Trump und Hegseth wurde Brüssel nun durch Vances kulturelle und politische Zurechtweisung einem regelrechten ideologischen Tsunami ausgesetzt: Donald Trumps Telefonat, in dem er mit Wladimir Putin das Schicksal der Ukraine diskutierte, wird als zweite Jalta-Konferenz in die Geschichte eingehen – die erste fand 1945 statt und teilte Europa zwischen Russland und den USA in Einflusssphären auf. ... Und die Rede von James David Vance scheint die gleiche Wirkung zu haben wie die des damaligen britischen Premiers Winston Churchill am 5. März 1946, als dieser zum ersten Mal den Begriff 'Eiserner Vorhang' verwendete und den Kalten Krieg zwischen der UdSSR und dem Westen zündete. Denn auch Vance löste mit seiner Rede in München einen ideologischen Krieg aus: zwischen den USA und Europa.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Nicht aus der Luft gegriffen

In der Sache hatte Vance teilweise nicht ganz unrecht, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Wer wollte noch ernsthaft bestreiten, dass die unkon­trollierte Masseneinwanderung zu einem großen Problem in Europa geworden ist? Dass zu Konferenzbeginn in München ein Anschlag stattfand, spricht für sich selbst. Auch andere Beispiele, die er nannte, waren nicht aus der Luft gegriffen. Dass in Rumänien, einem EU- und Nato-Mitglied, eine Präsidentenwahl mit fadenscheiniger Begründung annulliert wurde, ist besorgniserregend und in Europa viel zu nonchalant hingenommen worden. Dass AfD und BSW nicht an der Münchner Konferenz teilnehmen durften, ist angesichts des Zuspruchs, den sie bei den Wählern finden, kein Ausweis pluralistischer Diskursfähigkeit.“

Telegraf (UA) /

Geschichtsvergessene Blindheit

Die USA sollten sich an ihre eigene Geschichte erinnern, rät Jurist Andrij Mahera in einem von Telegraf übernommenen Facebook-Post:

„Wenn der Vizepräsident des noch mächtigsten Staates der Welt Europa sagt, dass es 'keine Demokratie hat', weil es russische Propagandaressourcen verbietet, sollte man nicht zögern, ihn an die Geschichte der USA zu erinnern. Insbesondere daran, wie Nazi-Zeitungen und Nazi-Organisationen während des Zweiten Weltkriegs in den USA verboten wurden. Ganz zu schweigen von den Repressionen, denen ethnische Japaner ausgesetzt waren, sowie davon, warum später die Bewegung von Martin Luther King entstand. ... Schade, dass man in München diesem frechen Juris Doctor aus Yale die historischen Fakten nicht in seinen Bart geschmiert hat.“

Correio da Manhã (PT) /

Die Empörung wird verfliegen – leider

Correio da Manhã glaubt nicht daran, dass Europa das Bündnis mit den USA in Frage stellen wird:

„Die Zeiten, in denen Amerika Europas Garant für Freiheiten und Rechte gegen die Bedrohung des Totalitarismus war, sind lange vorbei. Vance kommt aus einem isolationistischen Amerika, das die Welt mit dem egoistischen Interesse eines Lebensmittelhändlers oder Bauarbeiters betrachtet. Aber es ist auch ein Zeichen dafür, dass das große globale Spiel nicht mehr das alte Europa als Bühne oder Protagonisten hat. Und die schwachen europäischen Staats- und Regierungschefs mögen sich über Vance oder Putin empören, aber am Ende werden sie mitmachen, egal, was Trump entscheidet.“

Echo (RU) /

Der Kontinent steht vor einem Relaunch

Exil-Politiker Andrej Piwowarow macht in einem von Echo übernommenen Telegram-Post eine positive Prognose für Europa:

„Kurzfristig könnte die EU tatsächlich schwächeln, aber in der nächsten Phase werden wir wahrscheinlich eine neue Runde der Konsolidierung erleben. Europa wird damit beginnen, eine eigene, rigidere Politik zu entwickeln, die sich weniger an den transatlantischen Beziehungen orientiert. In diesem Kontext erscheint Selenskyjs Idee einer gemeinsamen europäischen Armee nicht mehr unrealistisch. ... Ich gehe davon aus, dass wir unabhängig vom Ausgang der deutschen Wahlen bald eine neue Einigung Europas erleben werden.“