Ukraine-Gipfel in London: Kommt eine neue Allianz?

Am Sonntag trafen europäische Staats- und Regierungschefs sowie der kanadische Premier Justin Trudeau in London zusammen, um der Ukraine den Rücken zu stärken. Eine von Großbritannien und Frankreich angeführte "Koalition der Willigen" will nun die Waffenlieferungen an Kyjiw intensivieren. Zudem soll ein Plan für einen Waffenstillstand ausgearbeitet werden. Viele europäische Kommentatoren werten den Gipfel positiv.

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La Repubblica (IT) /

Starmer nimmt das Zepter in die Hand

La Repubblica begrüßt, dass die britische Regierung vorangeht:

„Der Frieden auf dem alten Kontinent ist nun eng an London geknüpft. Trotz Brexit, trotz der Zerwürfnisse und Spannungen mit Brüssel in den vergangenen turbulenten Jahren. 'Wir stehen an einem Scheideweg der Geschichte, mit Blick auf unsere Sicherheit haben wir keine Zeit mehr zu verlieren', sagte Starmer zu Beginn des Gipfels. Gemeinsam mit Macron hat er das Kommando in Europa übernommen, um den alten Kontinent auch zu einer Verteidigungsmacht zu machen und Selenskyjs Ukraine wieder an den Verhandlungstisch mit den USA und Russland zu bringen. ... Um das Ziel zu erreichen, muss Starmer Selenskyj allerdings davon überzeugen, Trumps harte Bedingungen zu schlucken.“

Zeit Online (DE) /

Realismus-Injektion für Europa

Zeit Online lobt die diplomatische Initiative Keir Starmers:

„Es mag ironisch erscheinen, dass es ausgerechnet das Nicht-EU-Land Großbritannien ist, das der EU jetzt diesen realpolitischen Tritt in den Hintern verpasst. Das ist es aber nicht. Es war schon immer eine gewisse Diskrepanz zwischen Common-Sense-Pragmatismus und ideologischer Romantik, die Briten und Kontinentaleuropäer voneinander unterschied. Starmer ist zu danken dafür, dass er diese alte, freundliche Spannung jetzt wieder fruchtbar macht und den Europäern eine Realismus-Injektion auf dem Feld der Verteidigungspolitik verabreicht.“

Ilta-Sanomat (FI) /

Wenn es sein muss, ohne die USA

Europa muss bereit sein, einen eigenen Weg zu finden, fordert Ilta-Sanomat:

„Schon in früheren Krisen hat die EU, wenn es hart auf hart kam, Wege gefunden, Hilfen in Höhe von Hunderten von Milliarden Euro zu gewähren – auch unter Umgehung des Einstimmigkeitsprinzips aller Mitgliedstaaten und eigener Regeln. Das war bei der Eurokrise und zuletzt bei der Coronakrise der Fall, die zwar schwierig, aber zumindest nicht friedensgefährdend waren. Jetzt stehen die Unabhängigkeit der Ukraine und die Sicherheit Europas auf dem Spiel. Diesmal haben wir es nicht mit einer Schuldenkrise oder einer Pandemie zu tun, sondern mit einem kriegslüsternen Russland. Aber auch das muss gestoppt werden, mit den USA oder ohne sie.“

Hospodářské noviny (CZ) /

Abhängig von Amerika

Es wird noch lange dauern, bis Europa militärisch auf eigenen Beinen steht, betont Hospodářské noviny:

„Nach dem Debakel des Treffens zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump im Weißen Haus am Freitag sucht Europa nach einer Möglichkeit, die Ukraine zu verteidigen und die beiden Präsidenten zu versöhnen. Tatsächlich können ohne Amerika aufgrund der militärischen Schwäche Europas zumindest in den nächsten Jahren keine Sicherheitsgarantien funktionieren, die der Westen Kyjiw geben könnte, damit die Ukrainer einen akzeptablen Waffenstillstand mit Russland aushandeln. Gleichzeitig wird Europa aufgrund der Abhängigkeit von amerikanischer Technologie, Logistik und Geheimdiensten für lange Zeit nicht einmal in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen.“

De Standaard (BE) /

Rückkehr zu einer Politik der Beschwichtigung

Laut De Standaard geht es für die Europäer nun erstmal darum, Zeit zu gewinnen:

„Nach außen müssen sie ruhig und entschieden die diplomatischen Beziehungen zu den USA und anderen bewahren, um zu retten, was zu retten ist. Die Situation ist beispiellos, aber sie markiert gewissermaßen eine Rückkehr zum 'Appeasement' des britischen Premiers Neville Chamberlain im Jahr 1939. Er wurde dafür verteufelt, allerdings verfolgte auch er damals das Ziel, Zeit zu gewinnen. Keir Starmer und Emmanuel Macron haben das offenbar begriffen. Zugleich darf man jetzt in Sachen Re-Industrialisierung und Eigenverantwortung Europas keine Sekunde verlieren.“