Fünf Jahre Brexit: Gut gelaufen?
Rund dreieinhalb Jahre dauerte es, bis der im Juni 2016 per Brexit-Referendum beschlossene Austritt des Vereinigten Königreichs am 31. Januar 2020 schließlich vollzogen wurde. Seither versuchen Großbritannien und die EU, ihre Beziehungen neu zu ordnen. Fünf Jahre nach dem Austritt überwiegt bei den Bilanzen der Frust – allerdings aus sehr unterschiedlichen Gründen.
Permanentes Verlustgeschäft
The Independent sieht lauter Nachteile:
„Die seit 2021 abgeschlossenen Freihandelsabkommen waren für die britische Landwirtschaft entweder von geringer Bedeutung oder nachteilig. ... Tatsache ist, dass die britische Wirtschaft stetig und unbeirrt mit einem Rückgang des BIP um 4 Prozent im Vergleich zu einem Vereinigten Königreich ohne Brexit zu kämpfen hat. Und dieser Verlust wird auf unbestimmte Zeit anhalten. Der Brexit hat die Union und den Friedensprozess in Nordirland nachhaltig destabilisiert und Generationen gespalten. Die Bilanz des Brexit ist äußerst negativ. ... Wirtschaftlich und strategisch wäre Großbritannien in Europa besser aufgehoben. Eines Tages wird das auch die Konservative Partei einsehen, die Großbritannien 1973 in die EG geführt hat.“
Vorteil nutzen und Einwanderung kontrollieren
Für The Daily Telegraph ist es an der Zeit, die wiedererlangte Souveränität auch zu nutzen:
„Die europäische Freizügigkeit schränkte die Fähigkeit der Regierung, die Grenzen zu kontrollieren, ein. Der Brexit gab den Politikern die Instrumente in die Hand, dies zu ändern, auch wenn diese Instrumente falsch genutzt wurden. Wenn diese oder eine andere Regierung die Grenzen wirklich kontrollieren will, gibt der Brexit die Möglichkeit, die Einwanderung schnell zu reduzieren. ... Großbritannien muss die durch den Brexit eingeleitete Souveränität vollenden, indem es die Europäische Menschenrechtskonvention und alle anderen internationalen Abkommen verlässt, die die Kontrolle unserer Grenzen behindern.“
Taube in der Hand gegen Spatz getauscht
Die Neue Zürcher Zeitung bilanziert:
„Aufwendige Zollerklärungen müssen gemacht werden, ausserdem braucht es Nachweise über Produktstandards. Kleinere Unternehmen mit weniger Ressourcen tun sich mit diesem Aufwand deutlich schwerer als Konzerne. … Gleichzeitig ist denkbar, dass der Brexit eben nicht nur den britischen Güterhandel mit der EU dämpfte, sondern auch jenen mit dem Rest der Welt … Während ein klarer Brexit-Benefit schwer auszumachen ist, spüren die Briten die negativen Seiten des Wegfalls der Personenfreizügigkeit. Und die Einwanderung, ein wichtiger Grund für den EU-Ausstieg, ist sogar gestiegen. Mit dem Brexit hat Grossbritannien eine Taube in der Hand gegen einen Spatzen getauscht.“
Zeit für den Briturn
Ein zunehmend raues internationales Umfeld wird UK und EU wieder zusammenführen, glaubt Público:
„Heute haben sich auf beiden Seiten des Ärmelkanals alle Illusionen zerschlagen. Fünf Jahre nach dem Brexit braucht das Vereinigte Königreich die Europäische Union und die Europäische Union braucht das Vereinigte Königreich. Wenn sie nicht isoliert, geteilt und angreifbar dastehen wollen, in einer ihnen feindlich gesinnten Welt. Für ihre Demokratien, für ihre strategischen Interessen, für den Frieden und den Wohlstand, an den sie sich gewöhnt haben. Die Mehrheit der Briten will eine Annäherung an Europa und misstraut den USA. Die 'Briturn'-Bewegung ist bereits ins Leben gerufen worden. Das ist ein gutes Zeichen.“