Türkische Polizei stürmt Fernsehsender
Die türkische Polizei hat am Mittwoch zwei regierungskritische Fernsehsender gestürmt. Sie gehören zur Koza İpek Holding, die der Gülen-Bewegung nahesteht. Am Montag hatte ein Gericht die Unternehmensgruppe unter staatliche Verwaltung gestellt. Kommentatoren zeigen sich besorgt, dass Präsident Erdoğan kurz vor der Wahl auf Gewalt und Einschüchterung setzt. Sie glauben aber auch, dass dies die Solidarität unter den Regierungsgegnern stärkt.
Wer der AKP nicht gehorcht, wird verfolgt
Kurz vor der Wahl unternehmen Recep Tayyip Erdoğan und die AKP einen weiteren brutalen Versuch der Einschüchterung ihrer Gegner, kritisiert die liberale Tageszeitung Hürriyet Daily News: "Die Türkei hat in den letzten Tagen auf schlimmste Weise erfahren, in was sich ein demokratisches parlamentarisches System verwandeln kann, wenn die, die an der Macht sind, die Gesetze biegen, wie es ihnen passt, ohne Rücksicht auf irgendeine Art von Gewaltenteilung. ... Die Beschlagnahmung von Koza İpek wenige Tage vor der entscheidenden Wahl am 1. November ist nichts anderes als eine Einschüchterung aller Bürger - inklusive wichtiger Geschäftsmänner, die es wagen, Kritik zu üben oder sich weigern, offen die AKP und ihren De-facto-Führer Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu unterstützen. Die Botschaft ist simpel: Unterstütze uns, tue, was wir dir sagen, oder ich werde alles konfiszieren, was du besitzt und du wirst nichts dagegen tun können."
Polizeiaktion lässt Opposition zusammenrücken
Dieser jüngste Angriff auf ein oppositionelles Medienhaus könnte für die AKP-Regierung nach hinten losgehen, glaubt der liberal-konservative Tagesspiegel: "Möglicherweise ist Ankara mit der Aktion gegen die unliebsamen Medien von Koza İpek … einen Schritt zu weit gegangen. Am Mittwoch zeichnete sich ab, dass der Polizeieinsatz eine Solidarisierung von Regierungsgegnern bewirkt hat. Auch Vertreter von Parteien und Medien, die normalerweise keinerlei Sympathie für die Gülen-Gemeinschaft empfinden, reagierten empört: Sie wissen, dass sie als Nächste an der Reihe sein könnten. Zudem ist das Vorgehen gegen die Medien ein deutliches Zeichen der Schwäche. Die Regierung ist kurz vor der Wahl offenbar nicht sicher, dass sie ihre Ziele mit erlaubten Mitteln erreichen kann."
So zerrissen war die Türkei noch nie
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat in der Türkei Chaos und Zwietracht gesät, um der AKP am Sonntag die absolute Mehrheit zu ermöglichen, kritisiert die konservative Tageszeitung The Times: "Erdoğan mag glauben, dass er genug unternommen hat, um besorgte Wähler in die Arme seiner regierenden nationalistischen Partei zu treiben und Kurden ebenso wie liberale und säkulare Türken als Staatsfeinde darzustellen. Doch der Wahlerfolg - sprich, wenn Erdoğan gewinnt - ist nur um den Preis einer Türkei zu haben, die so stark polarisiert ist wie nie zuvor, und in der dunkle Verschwörungstheorien kursieren, mit denen sowohl Russland als auch die USA in wilden Gedankenspielen in Verbindung gebracht werden. Das ist ein hoher Preis für die Ambitionen eines Mannes, der vergangene Woche von Kanzlerin Angela Merkel hofiert wurde und dem Visaerleichterungen sowie ein beschleunigter Zugang zur EU angeboten wurden. Und das obwohl die Türkei in ein autoritäres Regierungssystem und in Chaos abgleitet."
Für den Wandel braucht es eine neue Partei
Die Türkei braucht eine neue politische Kraft, mahnt die linksliberale Tageszeitung La Repubblica: "Die [kurdennahe] HDP versucht, sich aus der Zange zu lösen, in die sie der Krieg zwischen dem türkischen Militär und den Guerillas der PKK genommen hat. Doch ist ihr Handelsspielraum begrenzt. Denn in der Türkei kann die HDP, auch mit brillanten Ergebnissen wie den 13 Prozent im Juni, nicht davon träumen, jemals die Mehrheit zu erzielen. Sie kann, selbst wenn sie sich noch so sehr allen Minderheiten gegenüber öffnet, ihre ureigene kurdische Prägung nicht vergessen machen. Die Hoffnung auf einen wahren Wandel - und nicht nur auf ein Bollwerk, wie sie die islamisch-nationalistische Megalomanie Erdoğans errichten will - ist an das Auftreten einer türkischen politischen Kraft geknüpft, die wirklich an Gerechtigkeit und Frieden glaubt. An eine türkische Partei ohne Islam-Nationalismus, an einen Staat ohne Parallelstaat."