Wer steckt hinter Terror in Ankara?
Die militante Kurdenorganisation TAK hat sich zum Anschlag in Ankara mit 28 Toten bekannt. Die türkische Regierung hatte zuvor die PKK und deren syrischer Ableger YPG beschuldigt. Auch einige Kommentatoren sehen die YPG als Drahtzieher. Andere halten sie für unschuldig und wittern Kalkül hinter der türkischen Rhetorik.
Türkei wird Terror schulterzuckend hinnehmen
Die Türkei steht kurz davor, dass Terroranschläge dort genauso zur Tagesordnung gehören wie im Nahen Osten, warnt die islamisch-liberale Tageszeitung Today's Zaman:
„Unser Umgang mit den Massakern in Reyhanlı, Suruç, Diyarbakır und Ankara ähnelt immer mehr dem, der sich im Irak oder Pakistan zeigt. Wir trauern nicht mehr über diese Anschläge. Die Täter bleiben ungestraft. Trotz offensichtlicher Fahrlässigkeit übernimmt niemand Verantwortung. Schwachstellen werden nicht untersucht. Nach den Beerdigungen geht das Leben weiter, als sei nichts geschehen. ... Wenn wir so weitermachen, werden wir in der Nahost-Liga enden, zusammen mit Ländern wie dem Irak oder Syrien und trotz unseres 200-jährigen Modernisierungsprozesses und unserer Mitgliedschaft im Europarat, der Nato, der OECD und anderen westlichen Institutionen.“
Manchen Kurden ist jeder Pakt recht
Es gibt durchaus radikale Kurdenfraktionen, die ein Interesse an Eskalation haben, meint die konservative Tageszeitung Die Welt zum Vorwurf der türkischen Regierung, kurdische Milizen seien Drahtzieher des Anschlags:
„[Das sind jene Kurden,] die den türkischen Staat zur Kriegspartei im syrischen Sumpf machen wollen, um den sogenannten 'tiefen Staat' zu destabilisieren. Es ist die Stunde mancher Kurden, denn die Kurden gibt es nicht. Ein heterogenes Volk von mehr als 30 Millionen Menschen, das größte Volk der Erde ohne eigenen Staat. ... Doch jetzt ist ihre Zeit, sie werden von allen hofiert: von den Europäern, den Amerikanern, den syrischen Widerstandskämpfern gegen das Regime von Diktator Baschar al-Assad. ... Die Kurden, Everybody's Darling. Aber natürlich geht es den teilweise untereinander verfeindeten und rivalisierenden Kurdenfraktionen um Macht und Einfluss, nicht zuletzt um eine supranationale Einheit. Zu diesem Zweck ist jeder Pakt recht.“
Ankara will YPG unbedingt Täterschaft anhängen
In der Äußerung der türkischen Führung, die syrisch-kurdische YPG stehe hinter dem Anschlag, sieht das liberale Internetportal Radikal dagegen hauptsächlich diplomatisches Kalkül:
„Unter normalen Umständen würde der Staat ohne viel nachzudenken die PKK oder die [Terrororganisation Kurdische Freiheitsfalken] TAK als Täter benennen. Dieses Mal werden diese beiden Organisationen gar nicht genannt, sondern die Beschreibung 'YPG mit Hilfe von einheimischen Terroristen' bevorzugt. ... Das ist eine bewusste Wahl und vor allem die Bemühung, dieses verhängnisvolle Ereignis in einen diplomatischen Hebel zu verwandeln. ... Kann die Türkei die internationale Öffentlichkeit gewinnen, die sie durch die Bombardierungen der YPG bei Azaz [Stadt in Nordwestsyrien] gegen sich hatte? Können die USA, die an der Seite der YPG stehen, unter Druck gesetzt werden, in dem dieser Anschlag als diplomatischer Hebel genutzt wird?“
Folgen des Terrors in Türkei unabsehbar
Dass die türkischen Sicherheitsbehörden und Präsident Recep Tayyip Erdoğan sehr schnell Kurden als Attentäter ausmachten, kommt für die wirtschaftsliberale Tageszeitung Hospodářské noviny nicht überraschend. Dahinter verberge sich ein Kalkül Ankaras, das gefährliche Auswirkungen auch für andere haben könnte:
„Folgt man türkischen Oppositionszeitungen, braucht die Regierung ein Motiv, um militärisch an der türkisch-syrischen Grenze eingreifen zu können. Damit könnte der Konflikt über sein bislang regionales Ausmaß hinauswachsen. Ziel der Türken würden die syrischen Kurden werden, die dank russischer Luftunterstützung Geländegewinne machen. Wer garantiert, dass dann Türken und Russen in Syrien nicht die Waffen kreuzen? Eine solche Perspektive beschäftigt reichlich Köpfe in Brüssel, in den Zentralen von Nato und EU. Die Türkei ist Mitglied des nordatlantischen Bündnisses. Der Konflikt, in den es eintreten würde, beträfe wegen des Beistandsartikels 5 auch andere Mitglieder der Allianz.“
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