Ankara attackiert regierungskritische Zeitung
Vertreter der EU haben die Übernahme der oppositionellen türkischen Zeitung Zaman kritisiert. Das Blatt war am Freitag unter staatliche Verwaltung gestellt und von der Polizei gestürmt worden. Doch für die meisten Kommentatoren ist die Kritik an Ankara viel zu zahm.
Türkei muss vor EU keine Angst haben
Mit ihrer zahnlosen Haltung gegenüber Ankara manövriert sich die EU in eine schwache Position, kritisiert die katholische Tageszeitung La Croix:
„Die Europäische Union will den Flüchtlingszustrom bremsen und hält sich daher mit Kritik zurück an dem, was wie eine Provokation wirkt. Ihre Diplomaten haben sich am Samstag damit begnügt, die Türkei an die von Beitrittskandidaten zu erfüllenden Verpflichtungen in den Bereichen Pressefreiheit und Ordnungsmäßigkeit von Gerichtsverfahren zu erinnern. Dass zu Beginn der Verhandlungsrunde mit einem Partner, der oft zwielichtige Interessen verfolgt, wie man an seinem Verhalten in der Syrienkrise und im Kampf gegen IS sehen kann, solch eine kraftlose Stellungnahme erfolgt, offenbart eine gefährliche Schwäche.“
Europa feige gegenüber dem Sultan
Dass Europa nach dem Angriff auf die Oppositionszeitung Zaman schweigt, kritisiert die linksliberale Tageszeitung De Morgen:
„Pressefreiheit? Je suis Zaman? Jetzt nicht! Wir müssen schließlich den Exodus der Flüchtlinge stoppen. Die feige Haltung der EU gegenüber der antidemokratischen türkischen Regierung zeigt, wie verletzlich die geteilte EU seit der Flüchtlingskrise ist. Weil wir es als Europäer nicht schaffen, die Lasten dieser internationalen Krise solidarisch zu verteilen, sind wir abhängig vom guten Willen eines autoritären Regimes an der EU-Außengrenze. Und Meinungsfreiheit ist nur eines der Grundrechte, die zurzeit in der Türkei mit den Füßen getreten werden. Das Land entwickelt sich von einem säkularen Staat zunehmend zu einem autoritären Regime, das von einem Sultan geführt wird. Zaman scheint ein Test zu sein für uns Europäer. Wenn die Türken sich gefragt haben, wie viele Werte wir bereit sind aufzugeben im Tausch gegen weniger Flüchtlinge, dann kennt Ankara nun die Antwort.“
Erdoğan macht sich das Recht zu eigen
Die Übernahme der Zeitung Zaman zeigt einmal mehr, wie autoritär der türkische Staat zunehmend geführt wird, meint die linksliberale Tageszeitung Der Standard:
„Ein Alleinstellungsmerkmal der türkischen Führung ist ... die paternalistische Art, mit der [Präsident] Erdoğan, Vormund der Nation, alle Manifestationen der türkischen Gesellschaft in richtig und falsch einteilt. In so einer Umgebung hat regierungskritischer Journalismus kein leichtes Leben. Und wenn ihm - wie im Falle der zwei Cumhuriyet-Journalisten, die vor einer Woche nach dreimonatiger Haft freigelassen wurden - der Verfassungsgerichtshof zu Hilfe kommt, dann erklärt Erdoğan ganz einfach, dass der Richterspruch aus seiner Sicht nicht gelte. ... Auf die weltweite Kritik antwortet die türkische Regierung mit der Versicherung, das sei eine rein juristische - doch keine politische! - Angelegenheit gewesen. Das Recht, c'est moi, so hätte es Erdoğan gern.“
Schlag gegen Zaman war überfällig
Die Zeitung Zaman steht der islamischen Gülen-Bewegung nahe, die in der Türkei zur Terrororganisation erklärt wurde. Diese Gemeinde hat den Staat unterwandert und muss mit aller Härte bekämpft werden, kommentiert die regierungsnahe Tageszeitung Sabah:
„Der letzte Schritt in diesem Kampf ist die Beschlagnahmung der Zeitung Zaman. Eigentlich war das ein längst überfälliger Schritt. Der Grund dafür ist, dass die Staatsorgane im Kampf gegen diese parallelen Staatsstrukturen nicht koordiniert vorgehen. Wäre [Präsident] Erdoğan im Kampf gegen die parallelen Staatsstrukturen nicht lange allein gelassen worden, würde sich uns nun ein ganz anderes Bild bieten. Wären bis jetzt alle Standbeine dieser parallelen Staatsstruktur in Medien, Industrie, Bürokratie und im internationalen Feld zerstört worden, wäre dieses Netzwerk mit all seinen Elementen längst zerbrochen.“