Russland zieht sich aus Syrien zurück
Russland hat mit dem Teilabzug aus Syrien begonnen. Der Marinestützpunkt Tartus und die Flugbasis in Latakia bleiben jedoch bestehen. Die relativ überraschende Ankündigung Präsident Putins halten einige Kommentatoren für logisch, da er alle Kriegsziele erreicht hat. Für andere hat der Rückzug lediglich innenpolitische Gründe.
Putins Militär nicht schlagkräftig genug
Der Teilabzug Russlands ist auf dessen militärische Schwäche zurückzuführen, analysiert der Journalist Ramūnas Bogdanas auf dem Onlineportal Delfi:
„Der Kreml hat bereits begriffen, dass er mit militärischen Maßnahmen nichts erreichen wird. Viele, inklusive mir, haben prognostiziert, dass Syrien für Russland dasselbe wird, wie Afghanistan für die Sowjets. Anscheinend hat Moskau gespürt, dass es in den Konflikt hineingesogen zu werden droht und hat Stopp gesagt. ... Die russische Technik ist 30 Jahre alt und sehr unpräzise, die Piloten sind gezwungen, in maximaler Höhe von 5.000 Metern zu fliegen und werden somit zusammen mit den Helikoptern zu potenziellen Zielen tragbarer Flugzeugabwehrsysteme. Die Amerikaner verwenden Smart-Bomben und attackieren aus 8.000 Meter Entfernung. ... Die Waffenruhe wurde am 1. März für zwei Wochen eingeführt. Am letzten Tag hat Wladimir Putin beschlossen, kein Risiko einzugehen.“
Syrien wird Putin zu neuen Abenteuern anspornen
So lange Russland stark genug ist, wird Präsident Putin im Ausland weiterhin militärisch intervenieren, um innenpolitisch Stärke zu zeigen, warnt das konservative Wochenmagazin The Economist:
„Syrien hat eines gezeigt: Wenn US-Präsident Obama zurücksteht, weil er hofft, dass regionale politische Führer nicht nur Trittbrettfahrer US-amerikanischer Stärke sind, sondern für das Gemeinwohl zusammenarbeiten, dann wird das entstandene Vakuum schnell von Störern wie dem Iran, den IS-Milizen und Russland bei dessen Suche nach der nächsten Propaganda-Quelle gefüllt. ... Irgendwann einmal wird der stetige Niedergang Russlands dessen Aggressionspotenzial einschränken. Doch im Moment ist ein atomar aufgerüsteter Putin fest entschlossen, sich innerhalb der alten sowjetischen Einflusssphäre aufzudrängen. In Obamas letztem Jahr als Präsident könnte Putin, angespornt von seinem Erfolg in Syrien, den Westen ein weiteres Mal testen.“
Moskau kann jederzeit wieder zuschlagen
Moskau zieht seine Truppen aus Syrien nur teilweise ab, die Infrastruktur, die es hinterlässt, ermöglicht ihm jederzeit wieder mit voller Wucht zurückzukehren, meint die Tageszeitung Trud:
„Die genauen Parameter der russischen Militärpräsenz in Syrien sind weiterhin unbekannt, denn außer heroischer Propaganda hat Moskau keine konkreten Angaben zu Art und Zahl russischer Truppen in Syrien gemacht. … Das Pentagon schätzt die russische Militärpräsenz in Syrien auf 3.000 bis 6.000 Soldaten. Laut Kreml würden nach dem Abzug zwischen 800 und 1000 Soldaten bleiben, die Assad und seine Luftangriffe unterstützen sollen. Dank seiner Freunde in Damaskus und Teheran und der gemeinsamen Kommandozentrale der östlichen Anti-Daesh-Koalition in Bagdad, bestehend aus Russland, Syrien, Iran und Irak, verfügt der Kreml über die notwendige Logistik in der Region, um jeden Moment wie ein Blitz aus heiterem Himmel zuzuschlagen, wenn es sein muss.“
Abzug aus Putins Sicht logisch
Der Abzug russischer Truppen aus Syrien ergibt absolut Sinn, kommentiert die liberale Tageszeitung Sme:
„Putins Ziel war vor allem, eine Niederlage seines brutalen Klienten Assad zu verhindern, die für Moskau den Verlust der einzigen Militärbasis außerhalb des Landes bedeuten würde. ... Neben dem militärischen erreichte Putin auch ein anderes Ziel: das Aufbrechen der internationalen Isolation Russlands. Mit der Ankündigung des Abzugs zu Beginn der Genfer Friedensverhandlungen gab Putin zu verstehen, dass der Frieden sein Werk ist und dass der auch nur mit russischem Zutun gefestigt werden kann. ... Die Russen zuhause sind auch erleichtert. Denn dieser Krieg war nie so populär wie das Abenteuer in der Ukraine. Aber auch so trug er Moskau einige wertvolle Siege in der Außenpolitik ein und erneuerte den angeschlagenen Stolz.“
Rückzug ist innenpolitisch motiviert
Dass der Abzug dem russischen Präsidenten lediglich dazu dient, seine Bürger zu beruhigen und sich selbst an der Macht zu halten, glaubt dagegen die liberale Tageszeitung Hämeen Sanomat:
„Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Welt auf seltene Weise positiv überrascht, indem er ankündigte, Russland beginne mit dem Rückzug seiner Truppen aus Syrien. Die kalte Dusche folgte unmittelbar: Russland setzt die Luftschläge fort. Alle hochtrabenden Ankündigungen des Kreml sind also wieder nur Blendwerk. Der Frieden in Syrien ist keinen Schritt näher gerückt. ... Der Krieg kostet Russland sehr viel. Präsident Putin will Syrien auf keinen Fall zu einem neuen Afghanistan machen. Die Russen knüpfen daran noch bittere Erinnerungen. Demokratie wird in Russland nicht allzu groß geschrieben, aber Putin muss auf seine Beliebtheit achten und zumindest auch ein bisschen auf die im Herbst stattfindende Parlamentswahl.“
Kreml handelt, Europa zaudert
Putin gibt in der Syrienkrise den Takt vor, während der Westen paralysiert ist meint die liberale Tageszeitung Kurier:
„Just während der neuen Dialog-Runde in Genf kündigte er jetzt den militärischen (Teil-)Rückzug an. Und der Westen kann wieder einmal nur reagieren statt agieren. Das hat auch Systemgründe. 'Zar' Wladimir schert sich keinen Deut um demokratische Spielregeln und formt sich seine Welt, wie es ihm gefällt. Während Europa - nicht nur in der Flüchtlingskrise - in politischer Erstarrung verharrt. Und US-Präsident Obama vom oppositionellen Parlament gebremst wird, aber auch sonst ein zaudernder 'Commander in Chief' ist. Putin nützt dies eiskalt aus, pokert hoch - mit schlechtem Blatt: Der Ölpreis ist im Keller, und damit spült die Haupteinnahmequelle des Landes viel zu wenig Geld in die Staatskassen. Der Westen weiß das natürlich, vermeidet aber die Konfrontation mit dem 'russischen Bären', der sich bereits die Krim einverleibt und Appetit auf die Ostukraine hat.“
Hoffnung für Friedensgespräche
Der überraschende russische Rückzug aus Syrien kann ein konstruktiver Beitrag für die Friedensverhandlungen in Genf sein, analysiert die liberale Tageszeitung NRC Handelsblad:
„Russland hat eine diplomatische Hauptrolle im Mittleren Osten und am Verhandlungstisch in Genf erzwungen. ... Aber es bleibt dabei: Erst sehen, dann glauben. ... Die Ukraine ist das Beispiel: Dort sagte Putin auch, er wolle die Friedensgespräche unterstützen, verstärkte aber zugleich die Militärhilfe für die Separatisten. Er bleibt ein zynischer Machtpolitiker, dessen Bomben Tausende das Leben gekostet haben. Aber der Rückzug kann eine willkommene Deeskalation bedeuten. Eine Chance für die USA und Russland, um diplomatisch intensiver gemeinsam vorzugehen. Fünf Jahre nach ihrem Beginn und nach 250.000 Toten befindet sich die Krise in Syrien in einer entscheidenden Phase.“
Russland nutzt militärische Macht weise
Lobende Worte über den Rückzug Russlands aus Syrien findet der Unternehmensberater Ronald Zonca im rechten Onlinemagazin Boulevard Voltaire:
„Russland ist bereit, Staaten militärisch zu helfen, damit sie ihre Souveränität zurückerlangen. Wir sind weit von den neokolonialen Eingriffen des Westens entfernt, die darauf abzielen, in zu Protektoraten gewordenen Ländern Marionettenregierungen an die Macht zu bringen. Mit dem Befehl, die russischen Truppen aus Syrien abzuziehen, hat Wladimir Putin ganz einfach gezeigt, dass Russland seine militärische Macht zur Wiederherstellung der demokratischen Ordnung in einem Land zu nutzen weiß, statt es in eine Bananenrepublik zu verwandeln. Indem Russland die Grundsätze des internationalen Rechts betont, die Grundlage für den Eingriff in Syrien sind, und seine Truppen zurückzieht, entsendet das Land eine starke Botschaft. Die Völker können auf Russland zählen.“
Putin wollte vor allem die Nato schwächen
Mit dem Engagement in Syrien ging es Russlands Präsident nur um die Schwächung der Türkei und der Nato, glaubt das liberale Nachrichtenmagazin Newsweek Polska:
„Der Krieg, den Putin jetzt schon seit fünfeinhalb Monaten in Syrien führt, hat gezeigt, dass es langfristig kaum möglich ist, Assad an der Macht zu halten. Dabei ist klar geworden, dass es für Russland sinnvoller ist, eine andere politische Kraft im Nahen Osten zu stärken: die Kurden, die für ihre Unabhängigkeit kämpfen. ... Die Entwicklung ist so dynamisch, dass dadurch die Position der Türkei, die ohnehin schon vom muslimischen Extremismus gebeutelt wird, innerhalb der Nato geschwächt wird. Auch werden so die Chancen der Türkei geringer, der EU beizutreten. Letztlich ist es Putin nur darum gegangen, sowohl die Nato als auch die EU zu schwächen.“
Putins Mission ist erfüllt
Putin zieht sich aus Syrien zurück, weil er seinen Einfluss ausreichend gestärkt sieht, analysiert die liberal-konservative Tageszeitung Corriere della Sera:
„Putin beansprucht damit für sich die Rolle des Schlichters. Mit dem Militäreinsatz Ende September hat er die Bedingungen für die Friedengespräche und die Waffenruhe geschaffen. Und jetzt, da die Bomben schweigen und die Luftangriffe das Gleichgewicht - natürlich zu Gunsten Assads - wieder hergestellt haben, ist Russland zum Rückzug bereit, um den Frieden zu fördern. Zu schön, um wahr zu sein. … Oder könnte es sein, dass die Offensive in Syrien zurückgefahren werden muss, weil die hohen Kosten für die schwächelnde russische Wirtschaft nicht länger tragbar sind? … Wahrscheinlicher ist es, dass ein föderales oder ein geteiltes Syrien, das der Regierung von Damaskus eine sichere Schutzzone zuspricht und den russischen Interessen entgegenkommt, dem Kreml genügt.“
Westen hat in Syrien versagt
Putins Ankündigung, seine Truppen aus Syrien teilweise abzuziehen, verdeutlicht, dass sich der Westen mehr hätte engagieren müssen, meint die linksliberale Tageszeitung Politiken:
„Wenn der Westen begeistert verkündet, dass wir friedliche Demonstranten unterstützen, die Demokratie und Freiheit fordern, laufen wir Gefahr, dass wir sie im Kampf im Stich lassen, wenn es wirklich um etwas geht. Es liegt doch nahe, dass sie unsere Sympathien für eine Hilfszusage unsererseits halten. Die Wahrheit aber ist, dass der Westen niemals vorhatte, die syrische Opposition militärisch zu unterstützen. Deshalb ist es verständlich, dass diese sich im Stich gelassen fühlt. Niemand weiß, ob ein umfassenderes militärisches Engagement des Westens besser gewesen wäre. Doch wir wissen, dass wir unseren Worten keine Taten folgen ließen. Das ist eine harte Lektion: Es ist moralisch nicht richtig, andere zu einem Krieg zu ermuntern, den sie nur verlieren können - wenn man selbst nicht vorhat, mitzukämpfen.“