Übersteht Cameron die Panama-Enthüllungen?
Der britische Premier David Cameron hat am Sonntag seine Steuererklärungen veröffentlicht. Er reagiert damit auf die Panama-Enthüllungen, wonach er an einer Briefkastenfirma seines verstorbenen Vaters beteiligt war. Kommentatoren sind uneins, ob Cameron etwas vorzuwerfen ist, fürchten aber, dass die Affäre den Ausgang des Brexit-Referendums beeinflussen könnte.
EU-Referendum droht Protestwahl zu werden
Die Enthüllungen um Camerons Vater kommen zu einem Zeitpunkt, an dem in Großbritannien ohnehin schon große Unzufriedenheit über die Innenpolitik der Regierung herrscht, erklärt die konservative Tageszeitung The Times:
„Es besteht die Gefahr, dass viele das EU-Referendum im Juni als Möglichkeit sehen werden, die Regierung zu bestrafen: für deren verpfuschten Versuch, die Invalidenrente zu kürzen, für deren falsche Handhabe der Krise der Stahlindustrie in Wales, und für den Streik der Jungärzte. Einige werden das Votum als Protestmöglichkeit gegen die Versteuerungspraktiken von Camerons Vater betrachten. ... Am schlimmsten wäre es nun, wenn Cameron in den 72 Tagen zwischen heute und dem EU-Referendum ununterbrochen für Brüssel Wahlkampf betreiben würde. Seine wichtigsten Prioritäten sollten sein: Die von der Schließung betroffenen Stahlwerke in Wales retten, die Warnungen von Ex-Arbeitsminister Ian Duncan Smith vor ungerechten Sozialkürzungen ernst nehmen und das Ausrutschen auf anderen Bananenschalen vermeiden.“
Cameron-Bashing ist Ablenkungsmanöver
Die wirklich wichtigen Fragen werden vor lauter Empörung über die angeblichen Missetaten Camerons nicht diskutiert, kritisiert die linke Tageszeitung taz:
„Er hat exemplarisch gehandelt, indem er sich 2010 von seinen Anteilen trennte, bevor er Regierungschef wurde. Dass sie beim Verkauf mehr wert waren als beim Erwerb viele Jahre vorher, ist weder erstaunlich noch verwerflich. Aber für einen gewissen besonders einfältigen Linkspopulismus ist es offenbar schon ein Rücktrittsgrund, dass jemand überhaupt jemals in seinem Leben genug Geld hatte, um in einen Investmentfonds zu investieren. ... [Es kommt] allen gelegen, sich jetzt auf die angeblich angeschlagene Person David Cameron einzuschießen und die eigentlich spannenden Fragen zu ignorieren. Zum Beispiel, welche Gelder aus aller Welt eigentlich in Offshore-Fonds in britischen Überseeterritorien landen und was die britische Finanzaufsicht tut, um zu verhindern, dass sie für die organisierte Kriminalität, für staatlichen Diebstahl, für Geldwäsche und für Steuerhinterziehung genutzt werden.“
Premier kämpft um Vertrauen
Warum Cameron jetzt dringend seine Glaubwürdigkeit zurückgewinnen muss, erklärt die konservative Tageszeitung Lidové noviny:
„Das Referendum um das Verbleiben Großbritanniens in der EU hat zwar vordergründig nichts mit dem Thema Steuerflucht zu tun. Aber sehr viel mit dem Vertrauen in die Eliten, die Cameron repräsentiert. Die Panama Papers zerstören das Vertrauen in die Gerechtigkeit. ... Das Gefühl der Gerechtigkeit und der Würde ist den Menschen gemeinsam, ohne Rücksicht auf ethnischen Hintergrund, Glauben oder darauf, von welchem Erdteil sie stammen. Die westlichen Eliten können sich damit verteidigen, dass die Panama Papers nicht wirklich etwas beweisen. Aber mit einer solchen Argumentation würden sie nur die Meinung verstärken, dass nur Arme und Idioten ihre Steuern brav bezahlen.“
So wird der Brexit unausweichlich
Die Panama Papers bringen Camerons Autorität vollends ins Wanken und könnten damit auch zur Gefahr für Großbritanniens Zukunft in der EU werden, fürchtet der linksliberale Tages-Anzeiger:
„Cameron ist das Aushängeschild, das Gesicht, der Motor der Kampagne für den weiteren Verbleib Englands in der EU. Je mehr Glaubwürdigkeit er verliert, desto weniger Gewicht bezieht er aus seinem Amt. Desto weniger überzeugend ist seine Stimme. Desto schneller geht es auf den Brexit zu. Schon argumentieren Brexit-Befürworter, einem Mann, der in privaten Geldfragen kein Vertrauen erwecke, könne man in Sachen Europa schon gar nicht vertrauen. Cameron wird sich schleunigst aus dem Netz der Mutmassungen befreien müssen, wenn er 'sein' Referendum gewinnen will.“
Krampfhafter Versuch, Cameron anzuzählen
Die Enthüllungen zeigen lediglich, dass Camerons Familie wohlhabend ist, was weder illegal noch neu ist, macht sich die konservative Tageszeitung Financial Times über die Empörung lustig:
„Weil nichts gefunden werden konnte, das auf Steuertricksereien des Premiers hindeutet, wird versucht, ihn schlecht zu machen, indem er damit in Verbindung gebracht wird. ... Agitierende Journalisten haben nicht nur bewiesen, dass Cameron in unerfreulichem Ausmaß begütert ist, sondern auch, dass sein Bruder und seine Schwester dies sind. Sie alle haben Geld von ihrem Vater geerbt. Was für eine Schande! Man kann ruhig sagen, dass wir den Regierungssitz in London der Mafia übergeben haben. Camerons Gegner haben seinen familiären Hintergrund schon immer als eine politische Schwäche gesehen. Vermutlich deshalb, weil die Enthüllungen ein riesiger Schock für die sicher unglaublich vielen Wähler sein werden, die bisher glaubten, dass Cameron Sohn eines armen Fischverkäufers aus Bermondsey sei.“
Heuchlerischer Premier muss gestürzt werden
Wenn der britische Premier nicht freiwillig abtritt, sollte er mit einem Misstrauensvotum notfalls von den eigenen Parteifreunden gestürzt werden, fordert die linksliberale Tageszeitung The Independent:
„Am ärgerlichsten an dem Ganzen ist die pure Heuchelei Camerons. Hier handelt es sich immerhin um jenen Mann, der sich so große Mühe gegeben hatte, die britischen Steuerfahnder mit mehr Geldmitteln auszustatten. ... Doch es scheint unwahrscheinlich, dass Cameron wie der isländische Premier Sigmundur Davíð Gunnlaugsson zurücktreten wird. Daher ist ein Misstrauensvotum die einzig verbliebene Option. Vielleicht gibt das Labour-Party-Chef Jeremy Corbyn die Chance, sich seiner Herausforderung zu stellen - oder Camerons eigener Partei. Wenn angriffslustige Tory-Hinterbänkler Cameron den Dolchstoß verpassen wollen, dann ist dies der beste Zeitpunkt dafür.“