Ende des Griechenlandstreits in Sicht?
Ein Sondertreffen der Euro-Finanzminister soll am 9. Mai die nächste Entscheidung in Sachen Griechenland bringen. Laut EU-Währungskommissar Pierre Moscovici sind sich die Gläubiger und Athen über 99 Prozent des Reformpakets einig. Vermutlich will man angesichts der Brexit-Gefahr neuen Streit tunlichst verhindern, glauben Kommentatoren.
Gläubiger lassen endlich Gnade walten
Hoffnung, dass Griechenland bald aufatmen kann, hat die linke regierungsnahe Tageszeitung Avgi nach der Aushandlung eines Reformpakets zwischen den Gläubigern und Athen:
„Negativ ist, dass die langanhaltende Unsicherheit schwere Folgen für die Wirtschaft hat. Das Positive ist, dass in dem ausgehandelten Lösungspaket auch eine Schuldenreduzierung enthalten ist. Somit wird die schwierige Situation, die wir seit eineinhalb Jahre erleben, nicht fortdauern. Die europäischen Institutionen haben beschlossen, die Wunde Griechenlands zu schließen, da die Gefahr für Europas Zusammenhalt immer noch gegeben ist. Die Turbulenzen nach einer möglichen Entscheidung der Briten für einen Brexit sind unberechenbar und beängstigend. Wolfgang Schäuble ist zu weit gegangen und Jean-Claude Juncker droht ein persönliches Scheitern. Die Griechen sind genug gefoltert.“
Angst vor Brexit stärkt Athens Position
So kurz vor dem EU-Referendum in Großbritannien kann sich Brüssel einen erbitterten Streit mit der griechischen Regierung nicht leisten, analysiert The Irish Times:
„Die Aussicht auf eine Wiederholung des griechischen Dramas vom vergangenen Jahr in diesem Sommer beschäftigt alle Beteiligten sehr. ... Die zwei großen Herausforderungen, die Europa derzeit umtreiben, die Flüchtlingskrise und das britische EU-Referendum, könnten Griechenlands Position vor den entscheidenden Verhandlungen über sein Rettungsprogramm stärken. Klar ist jedenfalls, dass sich alle Beteiligten bemühen werden, einen erbitterten Streit am Rande des politischen Abgrunds zu vermeiden, wie ihn die Welt im vergangenen Sommer gesehen hat.“
Euro-Partner sollten Schuldenschnitt akzeptieren
Statt eine neue Grexit-Hysterie heraufzubeschwören, sollten sich Griechenland und die Gläubiger endlich entgegenkommen, fordert die Süddeutsche Zeitung:
„Alexis Tsipras will die große Bühne; er strebt eine Debatte auf höchster Ebene an, weil er glaubt, dann mehr erreichen zu können als sein Finanzminister. In welchem Kreis am Ende auch entschieden wird, eines ist klar: Beide Seiten müssen einlenken. Griechenland muss endlich vereinbarte Reformen im Parlament beschließen. Die Gläubiger wiederum müssen es unterlassen, Athen zusätzliche Notsparpläne aufzubürden, die nur einen Grund haben: Die Euro-Partner versuchen so, den Internationalen Währungsfonds als Kreditgeber an Bord zu holen. Wer das will, muss aber auch zu Schuldenerleichterungen bereit sein.“
Athen muss Schulden zurückzahlen
Jetzt sollen Europas Steuerzahler für Athens Disziplinlosigkeit büßen, schimpft Corriere del Ticino angesichts der Diskussion um einen Schuldenschnitt:
„Wie viele andere klamme Länder im Euroraum (Irland, Portugal, Spanien, Zypern) hat Griechenland mit einer Prise Haushaltsdisziplin ein paar Fortschritte erzielt. Doch die ununterbrochenen Unterbrechungen der Haushaltssanierung haben diese Verbesserungen beeinträchtigt, trotz der Hilfen, die das Land erhielt. Nun taucht dieser Tage wieder die Forderung nach einem neuen Schuldenschnitt auf - zu Lasten der Kreditgeber. Diese sind aber jetzt vornehmlich die Steuerzahler der anderen EU-Länder, derweil Athen von privaten Geldgebern bereits Zugeständnisse erhalten hat. Sollte Athen wieder eine Schuldenumstrukturierung zugebilligt werden, würde das Nicht-Zurückzahlen von Schulden als Regel Gültigkeit erlangen. Ein negatives und für alle gefährliches Prinzip.“
Neuwahlen würden alles noch verschlimmern
In Athen wird bereits spekuliert, Premier Tsipras könnte angesichts der stockenden Verhandlungen mit den Kreditgebern Neuwahlen ausrufen. Das Webportal Protagon erteilt der Idee eine Absage:
„Es kann nicht sein, dass wir alle sechs Monate Wahlen durchführen. Das Abenteuer des letzten Sommers sollte alle klüger werden lassen - sowohl Tsipras als auch die Opposition. Diese Regierung hat die Pflicht, zu vollenden, was sie versprochen hat. Jede andere Option wäre ein Abenteuer und ein krimineller Versuch, sich der Verantwortung zu entziehen. Und die Opposition? Sicherlich ist sie verpflichtet, die Widersprüche, die Fahrlässigkeit und die Verzögerungen der Regierung zu betonen. Aber zu suggerieren, dass eine andere Regierung alles anders machen würde, hat keinen Sinn. Wir sollten unsere Lehren daraus ziehen, was mit Tsipras geschah, der im Dezember 2014 den Fehler machte, die Samaras-Venizelos-Regierung zu stürzen [als Syriza dem Präsidentschaftskandidaten Stavros Dimas die Stimmen versagte und Neuwahlen auslöste] und damit alles noch verschlimmerte.“
Bald reden wieder alle über Griechenland
Anzeichen für eine baldige Rückkehr der Griechenlandkrise sieht der Ökonom Luis Tavares Bravo im Diário Económico:
„Alexis Tsipras hat einen zurückhaltenderen Ton angeschlagen. Er scheint viel mehr darauf bedacht zu sein, die Debatte innerhalb Europas zu befördern, als einen einseitigen Bruch mit dem Euro zu erzwingen. Doch mit der 'Abwesenheit' Griechenlands auf der medialen Agenda kann es schon bald wieder vorbei sein. ... Das erste Warnzeichen kam Anfang des Monats von der Enthüllungsplattform Wikileaks, die Berichte veröffentlichte, wonach Tsipras angeblich vorzeitige Wahlen provozieren will. Dies hat zu einem Anstieg der Risikoprämien für griechische Anleihen und einem Rückgang der lokalen Börsenindizes geführt. Und das zu einer Zeit, da die Verhandlungen über die Auszahlungen aus dem dritten Hilfspaket alles andere als reibungslos verlaufen.“
Diesmal wird niemand für Griechenland kämpfen
Diesmal darf die griechische Regierung nicht mit Europas Hilfe rechnen, warnt die griechische Zeitung To Vima:
„Tsipras' Regierung hat die EU-Partner ermüdet. Selbst diejenigen, die zuvor Sympathien für Tsipras hegten, sind heute nicht mehr bereit, echte Hilfe zu leisten und Initiativen zugunsten von Griechenland zu ergreifen. In diesem Sinne ist es sehr wichtig, so bald wie möglich ein Abkommen zu erreichen. Jegliche Verzögerung und Komplikation wird das Land wieder vor große finanzielle Probleme stellen. … Es besteht das Risiko, dass sich der dramatische Sommer des vorigen Jahres wiederholt. Mit dem Unterschied, dass sich dieses Jahr kaum jemand anstrengen wird, um ein neues Abkommen mit Griechenland zu erreichen. Dieses Mal werden sie uns unserem eigenen Schicksal überlassen - das fürchten zumindest diejenigen, die einen Einblick in die laufenden Verhandlungen haben.“
Berlin muss die Phalanx der Erpressung stoppen
Dass Südeuropa vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise Nordeuropa erpressen wird, fürchtet Die Welt. Weil Tsipras Merkel offenbar gebeten hat, neue Sparauflagen von Griechenland abzuwenden, und weil Italiens Premier Renzi Eurobonds zur Finanzierung der Flüchtlingshilfe fordert, schreibt das konservative Blatt:
„So scheint sich synchron mit den Migrationswellen eine Phalanx der Erpressung vom Bosporus her über die südeuropäischen Schwellenländer auf Mitteleuropa zuzubewegen. Wobei die Drohung währungspolitischer Destabilisierung als Hebel dient, um Transferzahlungen von Nord nach Süd zu erzwingen. So argumentieren jedenfalls die Euro-Kritiker, aber das ist ein Kurzschluss. Denn die Ursache für die krisenhafte Zuspitzung ist eine Völkerwanderung, die weder etwas mit dem Euro noch etwas mit dem Reformversagen südeuropäischer Haushaltspolitiker zu tun hat. Es ist der Staatenzerfall am Südrand Europas, der sich endemisch nach Norden zu fressen droht. Diesen zu stoppen kostet Geld - ob Euro oder D-Mark - und erfordert pragmatisch-kühle Machtpolitik. Auch gegenüber Erpressern.“