US-Konzerne bedrohen Europa
Die von Greenpeace aufgedeckten Dokumente zu den Verhandlungen um die TTIP-Freihandelszone beweisen eine gefährliche Übermacht US-amerikanischer Konzerne, warnt die Tageszeitung Večer:
„Europa ist den starken US-Korporationen unterlegen, die die US-Außenpolitik bei umfangreichen Handelsabkommen diktieren. Die USA, so scheint es, wollen die Welt in die Zeit des Merkantilismus, dieses Mal der korporativen Macht, zurückwerfen. Der internationale Handel zielt auf die unverschämte Bereicherung der Korporationen ab, und das auf Kosten der Verarmung breiter Schichten der Bevölkerung in diesen 'freien' Handelszonen. Das TTIP-Abkommen, so wie es jetzt aussieht, ist eine Bedrohung für fast alle europäischen Umwelt-, Lebensmittel- und Verbraucherstandards. Sogar der Rechtsstaat steht auf dem Spiel.“
Malmström muss jetzt USA unter Druck setzen
Nach dem Leak der TTIP-Dokumente sieht Kolumnist Eric Bonse auf seinem Blog Lost in EUrope die europäische Verhandlungsposition gestärkt:
„Die neuen TTIP-Leaks zeigen, dass die EU beim Freihandel mit den USA in die Defensive geraten ist. Doch das müsste nicht sein - wenn Brüssel ehrlicher und mutiger wäre. Eigentlich hat Cecilia Malmström allen Grund, sich zu freuen. Denn die Dokumente, die Greenpeace in der Causa TTIP durchgestochen hat, stärken die europäische Verhandlungsposition. Sie zeigen, dass es die Amerikaner sind, die sich nicht bewegen. ... Seht her, wir sind die Guten, doch leider spielen die Amerikaner nicht mit, könnte Malmström nun sagen. Den öffentlichen Aufschrei in Deutschland, Frankreich und anderen EU-Ländern könnte die liberale Schwedin sogar als Hebel nutzen, um die USA unter Druck zu setzen. Wenn ihr uns nicht endlich entgegenkommt, dann wird es leider keinen TTIP-Deal geben, könnte Malmström sagen.“
Geheimhaltung ist heutzutage Illusion
Nach den Panama Papers und der Lux-Leaks-Affäre verdeutlichen die TTIP-Leaks einmal mehr, dass Geheimhaltungsversuche nicht mehr zeitgemäß sind, schlussfolgert Le Quotidien:
„Wie absurd, in Zeiten von Open Data und partizipativer Demokratie Informationen geheim halten zu wollen. Ein solcher Ansatz befördert Verschwörungstheorien, die genauso groß werden, wie das Geheimnis selbst. ... Multinationale Konzerne, Staaten und Vereine versuchen sich darin, aber es gelingt ihnen nur eine Zeit lang. Denn aus der Geheimhaltung entsteht der Verdacht. Nur in seltenen Fällen ist diese wirklich begründet. Bei TTIP war von Anfang an der Wurm drin: Ein Freihandelsabkommen kann nicht im Verborgenen bleiben, wenn es die Lebensqualität von Millionen von Menschen betrifft. Bereits die Seiten, die nun publik geworden sind, haben die Befürchtungen bestätigt.“
Dem Kompromiss nicht dienlich
Als überflüssig und kontraproduktiv sieht die Neue Zürcher Zeitung die TTIP-Leaks:
„Hervorzuheben ist, dass das Leck Verhandlungspositionen dokumentiert, keine Verhandlungsergebnisse - letztere wurden schon immer veröffentlicht. Die EU hat ihre eigenen Positionen unter dem Druck der Öffentlichkeit zum Teil längst publiziert. Noch nie zuvor waren über laufende internationale Verhandlungen so viele Einzelheiten bekannt. Fraglich ist, wem solche Transparenz dient. Die Öffentlichkeit erfährt dadurch wenig Neues. Für die Unterhändler hingegen wird es schwieriger, taktisch vorzugehen oder ohne Gesichtsverlust Kompromisse zu schliessen, wenn ihre Positionen im Voraus im Detail bekannt sind. Die ohnehin schon heiklen TTIP-Verhandlungen werden damit nicht einfacher.“
Debatte ist zu hysterisch
Die Aufregung um die TTIP-Unterlagen ist nicht gerechtfertigt, kritisiert tagesschau.de:
„Es ist der Sinn solcher Papiere, die Verhandlungspositionen aufzulisten. Der Inhalt ist nicht neu, und man kann ihn sich auch denken: Die wirklich schwierigen Fragen werden in internationalen Verhandlungen fast immer am Schluss behandelt. ... Aber in der hysterischen Debatte um TTIP ist nichts mehr normal. Diese deutsche Sorge etwa um Umwelt- oder Verbraucherstandards: Haben etwa deutsche oder europäische Behörden den VW-Diesel-Skandal aufgedeckt? Sind es die europäischen Kunden, an die Volkswagen jetzt die höheren Entschädigungen zahlt? ... Es ist so, wie die europäischen Unterhändler von Anfang an gesagt haben: Erst am Ende wird man beurteilen können, wie gut oder schlecht dieses TTIP ist. Bis dahin wird verhandelt, und zwar beinhart, auf Seiten der Amerikaner, und hoffentlich auch auf Seiten der EU.“
Es leben die Leaks!
Gerade die Geheimnistuerei nährt das Misstrauen gegen TTIP, klagt Kolumnist Bert Wagendorp in De Volkskrant:
„Der menschliche Geist ist simpel gestrickt. Kennt er nicht genug Fakten, beginnt er zu fantasieren. So bekamen wir die Religionen, und so machen wir aus TTIP vielleicht etwas, was es gar nicht ist. Aber vielleicht ist unser Misstrauen auch gerechtfertigt, und alles sogar noch schlimmer als wir uns vorstellen können. ... Dass es Angela Merkel, Mark Rutte und Obama nun so eilig haben, die Verhandlungen abzuschließen, beruhigt mich auch nicht. Es ist alles nur ein Gefühl, aber es scheint doch so, als wollte man uns etwas schlucken lassen, bevor wir kapieren, dass wir da gerade einen ziemlich fiesen Brocken heruntergewürgt haben. Wenn Politiker in Washington und Brüssel nun als Reaktion auf die TTIP-Leaks sagen, was sie tun, so dass wir darüber reden können, dann ist das ein echter Gewinn. Es leben die Leaks.“
Wer soll Ihnen das abkaufen, Frau Malmström?
Spätestens jetzt wird deutlich, dass das Freihandelsabkommen nicht den Menschen in Europa, sondern globalen Konzernen dienen soll, schimpft die linke Tageszeitung Duma:
„Die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström beteuert nun, dass sie in den Verhandlungen mit den USA die Interessen der Europäer verteidigt. Wer soll Ihnen das noch abkaufen, Frau Malmström? Die weniger Vergesslichen unter uns erinnern sich noch sehr gut an Ihre Worte, dass Sie nicht direkt von den europäischen Bürgern gewählt werden und ihnen darum keine Rechenschaft schuldig sind. Sie erinnern sich auch an den Versuch der EU-Abgeordneten, bei der TTIP-Abstimmung im vergangenen Sommer den Europäern Sand in die Augen zu streuen, um sie glauben zu machen, dass ihre Interessen geschützt werden. Leider schlagen sich die Gesetzgeber lieber auf die Seite des Kapitals als auf die Seite der arbeitenden Bevölkerung.“
Transparenz ist Segen für Abkommen
Es ist wichtig, dass die TTIP-Papiere enthüllt wurden, meint die Süddeutsche Zeitung:
„Die Verhandler, zumal die aus den USA, werden behaupten, die Veröffentlichung der TTIP-Papiere gefährde den Verhandlungserfolg. Es ist dies ein eigenartiges Verständnis von Erfolg. … Wäre es ein Erfolg, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass das Abkommen ihnen wie eine Zwangsjacke verpasst wird? Die bisherige Heimlichtuerei gefährdet ein zuträgliches Abkommen; die Klandestinität sabotiert eine sachgerechte Diskussion; und die offiziöse Lügerei über den Stand des Abkommens gefährdet Demokratie und Rechtsstaat. Wer eine transatlantische Wirtschaftsgemeinschaft will, und es gibt gute Gründe, sie zu wollen, der muss dafür sorgen, dass mit Wissen und mit Substanz über die kritischen Punkte gestritten werden kann.“
Obama selbst muss Europäer überzeugen
Damit die TTIP-Verhandlungen bis Jahresende erfolgreich abgeschlossen werden, muss Barack Obama selbst den politischen Widerstand gegen das Abkommen in Europa brechen, rät Le Monde:
„Trotz der löblichen Anstrengungen der europäischen Handelskommissarin Cecilia Malmström für mehr Transparenz bei der Ausarbeitung des TTIP-Abkommens fehlen der EU-Kommission, die die Mitgliedstaaten mit den Verhandlungen betraut haben, geeignete Instrumente, um auf die öffentliche Meinung einzuwirken. Diese Arbeit müssen die gewählten Regierungen erledigen. Doch in London und Berlin, in Paris und Rom haben die Regierenden dringendere Probleme zu bewältigen und sich zum Teil auf Urnengänge vorzubereiten: Der Moment ist ungünstig. Will Barack Obama die Verhandlungen wirklich beschleunigen, muss er die Europäer selbst überzeugen. Zum Beispiel dadurch, dass er bei den umstrittensten Themen nachgibt: beim Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen in den USA und im Bereich Landwirtschaft.“
TTIP lässt Frust über die EU weiter wachsen
Das geplante Freihandelsabkommen würde noch mehr Globalisierungsverlierer schaffen – weshalb es unverständlich ist, dass nicht vor allem die SPD dagegen mobil macht, wundert sich Kolumnist Wolfgang Münchau in der Financial Times:
„Es ist mir unbegreiflich, warum Sigmar Gabriel, Chef der deutschen Sozialdemokraten und Wirtschaftsminister, ein so starker Befürworter von TTIP ist. Würde er den zunehmenden Vertrauensverlust in die SPD ernsthaft stoppen wollen, müsste er sich die politischen Kosten dieses Abkommens stärker bewusst machen. Es ist wenig überraschend, dass ein großer Teil der Anhänger der zuwanderungsfeindlichen AfD ehemalige SPD-Wähler sind. Ein Nein zu TTIP würde wenigstens eine Ursache für die zunehmend ablehnende Haltung vieler Bürger gegenüber der EU und der Globalisierung beseitigen. Die politischen Folgen der Umsetzung des Abkommens wiegen schwerer als die nur kleinen wirtschaftlichen Vorteile.“
Mehr Exporte, mehr Wohlstand, mehr Macht
Als eine große Chance für Europa betrachtet die Tageszeitung ABC das Transatlantische Freihandelsabkommen:
„Es würde die Importe verbilligen und die EU-Exporte fördern. ... Für Konsumenten sänken die Preise und es erhöhte sich das Angebot an Waren und Dienstleistungen. … Die Allianz würde der EU im Hinblick auf künftige multilaterale Abkommen mehr Macht verleihen und damit die europäischen Unternehmen stärken. Doch die linken Parteien und Bewegungen widersetzen sich TTIP aus einer für sie typischen Verbohrtheit, sich allem zu widersetzen, was Fortschritt und Wohlstand bedeutet. Sie behindern das Abkommen mit falschem und schädlichem Protektionismus, der dem Geist der EU widerspricht. Die Europäer würden es bitter bereuen, sollten sie diese Chance vertun.“
Mit TTIP abermals gegen den Osten
Ein Rückfall in längst vergangene Zeiten wäre das Handelsabkommen für die Tageszeitung Večernji list:
„Die amerikanisch-westeuropäischen Beziehungen haben zur Entwicklung der europäischen Staaten geführt und deren Bürgern Wohlstand gebracht. Der Ostblock hinkte hinterher. Heute bedeutet das amerikanisch-europäische Handelsabkommen für die Wirtschaft, was die Nato in den Zeiten des Kalten Krieges für die Sicherheit der westeuropäischen Staaten bedeutete. Dementsprechend versucht Russland auch, den Austritt Großbritanniens aus der EU zu befördern, in der Hoffnung, dass dies der Anfang vom Ende der EU wäre. Offenbar beginnt nun, so wie sich einst die militärischen Bündnisse bekämpften, nun eine ökonomische Konkurrenz-Schlacht.“
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