Führt Kern Österreich aus der Krise?
Christian Kern ist als Bundeskanzler Österreichs vereidigt worden. Der designierte SPÖ-Vorsitzende sagte am Dienstag, die Volksparteien erhielten jetzt die letzte Chance, nicht von der Bildfläche zu verschwinden. Für einige Kommentatoren ist er ein Hoffnungsträger, andere halten seine Aufgabenliste für kaum erfüllbar.
Kern kann Laune der Österreicher verbessern
Statt Ängste vor der rechten FPÖ zu schüren, will der neue Bundeskanzler die Österreicher mit Tatkraft und Optimismus überzeugen, lobt der Tages-Anzeiger:
„Kern will Rechtspopulisten den Nährboden für ihren Erfolg entziehen: diese allgemeine Stimmung der Enttäuschung und Wut, in der Regierende als korrupt und unfähig, Asylbewerber als kriminell und die EU als bürokratisches Monster gesehen wird. Wie Kern konkret die Arbeitslosigkeit senken, die Wirtschaft stärken und das Bildungssystem verbessern will, hat er noch nicht gesagt. Aber er hat in seiner ersten Rede die Probleme offen beim Namen genannt, was bisher die Regierung den Rechtspopulisten überliess. Und Kern hat als Bahnchef bewiesen, dass er weiss, wie man Menschen motiviert, dass er ihnen eine neue Geschichte erzählen und die verheerend schlechte Stimmung ins Positive drehen kann.“
Regierung braucht neuen Teamgeist
Ob es dem neuen SPÖ-Bundeskanzler gelingt, das Überleben der Großen Koalition zu sichern, hängt in erster Linie von den Unzufriedenen in den Reihen des Partners ÖVP ab, analysiert der Kurier:
„Kerns größte Herausforderung für die maximal zwei verbleibenden Regierungsjahre: Er muss in knapper Zeit an gleich mehreren Großbaustellen kräftig Hand anlegen. Im Hause Rot-Schwarz regiert das Gegeneinander und nicht das Miteinander. Auch schwarze Minister beklagen den 'mangelnden Teamgeist'. In der ÖVP ist aber die Gruppe, die an mehr Wählerzuspruch für beide Parteien durch gemeinsame Erfolgserlebnisse glaubt, nur eine von mehreren Fraktionen. Der designierte SPÖ-Chef macht der ÖVP nun ein Angebot für 'unsere letzte Chance', zu dem nur jene Nein sagen werden, die schon etwas anderes im Sinn haben.“
Eine schier unlösbare Aufgabe
Der Großen Koalition neuen Schwung zu verleihen und gleichzeitig die erfolglose sozialdemokratische Partei wieder zu stärken, wird für Kern ein schwieriges Unterfangen, prophezeit Delo:
„Die Suche nach einem Gleichgewicht zwischen den konservativen Geiern und den sozialdemokratischen Tauben in der Bundesregierung wird für den neuen sozialdemokratischen Kanzler weitaus leichter sein, als ein magisches Rezept zu finden, das seiner Partei die Wähler zurückbringt. Wie die erste Runde der Präsidentenwahlen gezeigt hat, sind die Wähler zur FPÖ übergelaufen. Durch Kürzungen im sozialen Bereich wird es dem neuen Regierungschef nur schwer gelingen, diejenigen, die früher Arbeiterklasse genannt wurden, zurückzugewinnen. Es sieht zunehmend nach einer unlösbaren Aufgabe aus.“
Kern sind in Flüchtlingsfrage Hände gebunden
Christian Kern wird den Kurs der österreichischen Regierung in der Flüchtlingspolitik wohl kaum ändern können, glaubt Der Standard:
„Die ÖVP hat klargestellt, dass sie eine Aufweichung nicht akzeptieren wird. Und auch Partei- und Wahlvolk würden ein neuerliches Anschwellen der Flüchtlingszahlen nicht goutieren. Ein Abrücken vom beschlossenen Kurs würde dem FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer bei der Stichwahl in die Hände spielen und Kern vom ersten Tag an zu jenem Platz zwischen den Stühlen führen, der Faymann den Job gekostet hat. ... Natürlich könnte sich Kern auch auf die Seite jener Parteifreunde stellen, die offene Grenzen für Asylwerber wollen. Doch dann hätte er bald weder eine Koalition noch mehr als eine Handvoll Wähler. Das wird der gewiefte Taktiker wohl vermeiden wollen.“
Koalition zum Scheitern verurteilt
An eine erfolgreiche Fortsetzung der Großen Koalition in Wien ist für den Standard kaum mehr zu denken:
„Die [ÖVP] versucht nach dem überfallsartigen 'Dann macht euch den Krempel doch selber'-Abgang von Werner Faymann die letzten Mauern einer brüchigen Zweckehe noch zu retten und aus dem gemeinsamen Hausrat und dem Interregnum bei den Roten möglichst viel für sich herauszuholen und die SPÖ nach Möglichkeit zu triezen. ... Dass sich die SPÖ das Gebaren der ÖVP im Moment nicht bieten lässt, ist klar. ... Man traut den beiden nicht mehr zu, dass sie die Kurve noch einmal kriegen. Vielmehr zeigen sich die kaum mehr verborgene Abneigung und das tiefsitzende Misstrauen zwischen zwei nur noch durch sinnentleerten Machterhalt aneinandergekettete Parteien, die um sich schlagen, um den Gegner untergehen zu sehen - und dabei nicht einmal merken, dass sie beide dem Untergang geweiht sind.“
Deutschland fürchtet den Österreich-Effekt
Die deutsche Politik blickt zurecht besorgt auf die Regierungskrise in Österreich, glaubt der öffentlich-rechtliche Prager Hörfunk Český rozhlas:
„Das trifft nicht nur auf die SPD zu, die in der Wählergunst auf 20 Prozent gefallen ist. Denn auch die Christdemokraten kommen nur noch auf Werte von um die 30 Prozent. ... Namentlich die Sozialdemokraten quälen sich mit ähnlichen Führungsproblemen herum wie die Bruderpartei SPÖ. SPD-Chef Sigmar Gabriel erlebte wie Werner Faymann auf dem letzten Parteitag eine Art Waterloo. Jetzt machte das Gerücht die Runde, Gabriel könnte zurücktreten. Der appellierte an seine Genossen, aus der emotionalen Müdigkeit aufzuwachen. Der Vertrauensverlust sei für die Sozialdemokraten existenziell. Er nannte zwar die Spekulationen über seinen Rücktritt unbegründet. Aber das Rad in der Politik dreht sich schnell. Zur selben Zeit dementierte Faymann einen möglichen Rücktritt - um einen Tag darauf dann doch zu gehen.“