Was taugen die Osteuropa-Pläne der Nato?
Die Nato will im kommenden Jahr 4.000 Soldaten ins Baltikum und nach Polen schicken. Mitte Mai hatte das Militärbündnis eine Raketenabschuss-Station im rumänischen Deveselu eingeweiht, eine weitere soll in Nordpolen errichtet werden. Ist das die richtige Antwort auf russische Aggressionen?
Halbherziges Abschreckungsmanöver
So wird die Nato Moskau nichts entgegen setzen können, schimpft der rumänisch-US-amerikanische Militärstratege Edward Luttwak in einem Gastkommentar im Corriere del Ticino:
„Trotz des Einmarschs auf der Krim und der anhaltenden Aggression gegen die Ukraine wollen die Verbündeten der Nato keine ausreichende Zahl von Truppen entsenden, um den Baltischen Staaten und Polen mehr Schutz zu gewährleisten. 1.000 Soldaten in Estland oder 5.000 Soldaten in Polen stellen keine stabile Abschreckung dar, wie dies etwa 200.000 Soldaten hätten tun können. … Angesichts der Lage bleibt die beste Option, sich einverstanden zu erklären, dass die Ukraine weder der EU noch der Nato beitreten darf. Als Gegenleistung für einen generellen Rückzug Russlands und den Verzicht auf jeden territorialen Anspruch Moskaus, bei gleichzeitiger Aufhebung aller Sanktionen. ... Bisher haben die heuchlerischen Vereinbarungen, die die Länder des Gegenparts in aller Eile getroffen haben, Putin jedenfalls nichts anhaben können.“
Baltikum jetzt nicht in Panik versetzen
Der ehemalige britische Nato-General Richard Shirreff warnt in seinem neuen Buch, dass es binnen eines Jahres zu einem Atomkrieg zwischen dem Westen und Russland kommen könnte, sollten russische Truppen ins Baltikum eindringen. Solche Horrorszenarien helfen dem Baltikum ganz bestimmt nicht weiter, mahnt die Tageszeitung Neatkarīgā:
„Diejenigen, die sich nicht entscheiden können, ob sie bleiben oder das Land verlassen wollen, werden nach der Hysterie des [ehemaligen] Nato-Generals sicherlich ein One-Way-Ticket kaufen. Auch die wenigen ausländischen Investoren, für die Lettland bisher als sicheres Investitionsland galt, werden nun ihre Meinung ändern. ... Da die baltischen Staaten in Russlands Medien feindlich dargestellt werden, wird uns Moskau gewiss auch wirtschaftlich bestrafen. ... Aus Sicherheitsgründen wäre es sinnvoller darauf zu verzichten, hier ein Nato-Bataillon zu installieren. Mann sollte lieber dafür sorgen, dass die Mitglieder des Atlantik-Pakts mehr in die baltischen Länder investieren.“
Die Iran-Geschichte hat ohnehin keiner geglaubt
Die US-Amerikaner hatten schon lange den Traum eines Raketenabwehrsystems in Osteuropa, erklärt der rumänische Politologe Valentin Naumescu auf dem Blog Contributors:
„Der Diskurs, dass der Iran mit Raketen auf Zentraleuropa zielen könne, konnte nie wirklich glaubhaft 'verkauft' werden - weder in Russland, noch in den USA oder in Europa. ... Das strategische US-Raketenabwehrsystem, das seinen Ursprung in den 1980er-Jahren in der Amtszeit von Ronald Reagan hat (Strategische Verteidigungsinitiative SDI, 1983), stand damals wie heute für den legitimen Wunsch der USA, einen Schutzschirm über ihr Territorium und das ihrer Alliierten zu spannen, um das Angriffspotenzial ihrer Rivalen zu reduzieren. Etwas anderes hätte auch nicht solche Milliarden-Investitionen der USA über mehrere Jahrzehnte hinweg gerechtfertigt. Der Iran, der nur eine regionale Macht im Nahen Osten ist, hat Europa nie bedroht. … Das Raketenabwehrsystem verstärkt nun die politische, strategische, militärische und symbolische Macht der USA in Europa.“
Putins Antwort wird nicht ausbleiben
Die Reaktion Moskaus auf das US-Raketenabwehrsystem wird nicht lang auf sich warten lassen, prophezeit Journalist Dinu Flămând auf dem Blogportal Adevărul:
„Wir wissen nicht, ob Putin darauf gelauert hat. Aber er wird sich nicht scheuen, Antworten zu geben, ganz gleich, wie sehr die Folgen der westlichen Wirtschaftssanktionen in Russland bereits zu spüren sind. ... Nicht, dass sich Russland vor dem Abwehrsystem in Deveselu oder vor dem in Polen fürchtet. Aber Putin ist nun mal nicht der fröhliche Kosakentänzer [und frühere russische Präsident] Boris [Jelzin], der die neue 'ideologische' Front vom Baltikum bis ins Schwarze Meer ignoriert. Und erst recht nicht, wo der Iran - die potenziell destabilisierende Macht, mit der das Raketenabwehrsystem zunächst begründet wurde - mittlerweile offenbar zum zahmen Teppichhändler wurde.“
Wir schützen unsere Bürger
Warum die Raketenabwehr in Betrieb genommen wird, erklärt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in einem Gastkommentar für die Gazeta Wyborcza:
„Die 67 Jahre, in denen die Nato besteht, haben bewiesen, dass wir niemals sicher sein können, was uns in der Zukunft erwartet. Wir müssen immer darauf vorbereitet sein, unsere Mitgliedstaaten vor allen möglichen Bedrohungen zu schützen. Deshalb sind die Inbetriebnahme der Station in Deveselu und der Beginn der Bauarbeiten in Redzikowo [in Nordpolen] weitere wichtige Schritte. … Das Ziel der Nato ist dabei klar: Sie will unsere Bürger und unser Territorium vor allen Gefahren schützen. Dazu gehören Angriffe, die zu Wasser, zu Lande und zu Luft erfolgen, aber auch eine andere sehr reale Bedrohung: Attacken, die von außerhalb des Atlantik-Paktes kommen. Die Raketenabwehr ist ein wichtiges Mittel, um die Aufgaben der Nato zu erfüllen.“
Nato sollte Klartext reden
Russland wird den Ausbau der Nato-Raketenabwehr in Osteuropa als Provokation auffassen, fürchtet Le Temps und rät dem Nordatlantikbündnis, seine Karten offenzulegen:
„Die strategischen Absichten, die die Nato mit dem Raketenabwehrschirm verfolgt, müssen dringend geklärt werden. Wenn man in Polen und in Rumänien Raketen aufstellt, wenn man in Polen und den baltischen Staaten die Truppen verstärkt, kann man auch gleich direkt verkünden, dass man sich damit vor Russland schützen will, weil man sich vor der militärischen Neuausrichtung des Landes, seinem panrussischen Diskurs und seinen Expansionsbestrebungen fürchtet. Würde dies unweigerlich zu einer Konfrontation führen? Im Gegenteil: Es würde allen Beteiligten erlauben, ihre Interessen zu überdenken. Zudem würde auf diese Weise eine Wiederaufnahme des Dialogs ermöglicht und ein Abgleiten in einen ungewollten Konflikt wie in der Ukraine könnte so verhindert werden.“