Wie beeinflusst Orlando den US-Wahlkampf?
Nach dem Massaker in einem Schwulenclub in Orlando sind die Hintergründe noch unklar. Der Todesschütze hatte sich zur IS-Miliz bekannt, die US-Regierung geht aber nicht von Verbindungen zwischen ihm und der Terrorgruppe aus. Kommentatoren hoffen, dass der nächste US-Präsident weitere Anschläge verhindern kann.
Clinton wird Terror-Financiers in Ruhe lassen
Hillary Clinton hat Saudi-Arabien, Katar und Kuwait aufgefordert, Bürger ihrer Länder daran zu hindern, extremistische Organisationen zu finanzieren. Correio da Manhã zweifelt daran, dass sie an der Beziehung zu wichtigen Ölproduzenten rütteln wird:
„Nach dem Anschlag von Orlando hat US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton Saudi-Arabien, Katar und Kuwait scharf dafür kritisiert, extremistisch-islamistische Ideologien zu unterstützen. Und Clinton tut gut daran, auf diese drei Länder zu verweisen - ganz besonders, weil es sich um US-Verbündete handelt. Die US-Ölgesellschaften pflegen eine sehr enge Beziehung mit den saudischen Ölproduzenten. Es erscheint deshalb mehr als fraglich, dass Hillary Clinton als US-Präsidentin irgendetwas an der Beziehung mit den 'Öl-Königen' ändern wird.“
Clinton nimmt es mit der Waffenlobby auf
Hillary Clinton hat infolge des Massakers in Orlando eine Wiedereinführung des Verbots von Sturmgewehren gefordert. L’Obs zollt ihr für diesen Vorstoß Respekt:
„Zum ersten Mal macht ein Kandidat mit echten Chancen auf das Präsidentenamt - und zwar Hillary Clinton - seinen Widerstand gegen die NRA zu einem zentralen Thema seines Wahlkampfs. Vorbei die Zeiten der Zugeständnisse an die öffentliche Meinung und die Abgeordneten demokratischer 'pro-gun'-Staaten: Zum ersten Mal seit Jahrzehnten setzt ein Politiker in seinem Wahlkampf darauf, dass eine Mehrheit der Amerikaner dem stupiden kollektiven und beispiellosen Blutbad ein Ende setzen will. Angesichts der mächtigen Waffenlobby und der Tatsache, dass die Republikaner die Paranoia-Kultur der NRA ausnutzen, ist dies eine schwierige Aufgabe. Allerdings keine unmögliche: Zehn Jahre lang, von 1994 bis 2004, war der Verkauf von Sturmgewehren per Gesetz untersagt. Wir dürfen hoffen, dass zumindest diese einfache Regel des gesunden Menschenverstands eines Tages wieder eingeführt wird.“
Nicht Trumps Angstmache verfallen
Das Attentat von Orlando war ein Anschlag auf unsere offene Gesellschaft, analysiert NRC Handelsblad:
„Das wirkliche Ziel war die offene westliche Gesellschaft, in der verschiedene Standpunkte, Glaubensrichtungen und Arten, einander zu lieben, nebeneinander bestehen können. ... Wie eng das Band [des Attentäters zur Terror-Bewegung IS] war, muss sich noch erweisen. Der Islamische Staat jedenfalls begrüßte das Massaker sofort. ... Auch der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump sah - leider genauso vorhersehbar - die Chance, das Massaker zu instrumentalisieren. Dieses beweise, so sagte er, dass er mit seinen Warnungen vor dem Islam Recht hatte. Und er wiederholte seinen Aufruf, die Grenzen für Muslime zu schließen. Die einfachste Reaktion ist die, die sich Angst und Misstrauen beugt. Doch das läuft auf ein Ende der offenen Gesellschaft hinaus und wäre ein Geschenk für Fanatiker jeder Couleur, innerhalb und außerhalb der USA.“
Bedrohung durch Islam klar benennen
Amerika und die Welt scheinen nach den Schüssen von Orlando einmal mehr völlig paralysiert, konstatiert Sme:
„Der Schütze, ein afghanischer Amerikaner der zweiten Generation, wurde vom FBI zwei Mal wegen Terrorismusverdacht vernommen, konnte aber dennoch vergangene Woche in Florida eine Waffe kaufen. Die Waffenlobby schweigt zu seinem Fall. Aber schon bald wird sie zu ihrer Mission zurückkehren und jedwede Änderung der aberwitzigen Waffengesetze blockieren. ... Präsident Obama vermeidet weiter den von Trump benutzten Begriff 'radikaler islamistischer Terror' und spricht lieber von 'gewalttätigem Extremismus'. Als sei es wichtiger, eine Beleidigung zu vermeiden, als klar zu definieren, vor welcher Herausforderung wir stehen. So geht das immer weiter. Die Wähler sind entsprechend genervt - und wählen im Ergebnis Radikale, die ein Ende des derzeitigen Systems versprechen. Zum Beispiel Trump oder die Brexit-Befürworter.“
Amerikaner müssen mehr denn je zusammenhalten
Die USA müssen nach dem Attentat alles daran setzen, eine weitere Spaltung der Gesellschaft zu verhindern, mahnt L'Echo:
„Präsident Obama hat die Amerikaner am Sonntag dazu aufgerufen, nun nicht die Konflikte zu vertiefen, sondern sich vereint zu zeigen. Die Politik geht allerdings nicht wirklich mit gutem Beispiel voran. Wie werden die Amerikaner reagieren? Wird das Massaker die Gräben innerhalb der Bevölkerung vertiefen und Trump am 8. November zum Sieg verhelfen? Bis zur Wahl vergeht zwar noch eine ganze Weile, doch wir können nur hoffen, dass der gesunde Menschenverstand obsiegen wird. Andernfalls wäre es ein Sieg für die islamistischen Terroristen, deren Ziel darin besteht, unsere Gesellschaft zu spalten - ganz unabhängig davon, welche Verbindungen sie zu Omar Mateen hatten, dem Attentäter von Orlando.“
US-Waffengesetze fordern Todesopfer
Der Anschlag in Orlando zeigt wieder einmal, dass die liberalen Waffengesetze in vielen US-Bundesstaaten letztlich mehr Opfer fordern, als sie verhindern, kritisiert The Guardian:
„Die traurige Wahrheit ist, dass die US-Gesellschaft für solche Angriffe verwundbarer ist als andere, weil sie daran glaubt, dass Freiheit einen umfassenden Zugang zu Waffen erfordert. ... In den vergangenen zehn Jahren gab es in den USA 43 Schusswaffen-Attentate mit mindestens vier Toten in einem öffentlichen Raum. In nur ganz wenigen Fällen gab es erkennbare ideologische Beweggründe für die Tat. Einige ereigneten sich in Staaten wie Florida, wo es beinahe allen erlaubt ist mit versteckten tödlichen Waffen herumzulaufen, die eine entsprechende Lizenz beantragen. Das rettet in Wirklichkeit zwar niemandem das Leben, wenn einmal tatsächlich geschossen wird. Doch bis dahin verstärkt es das subjektive Sicherheitsgefühl.“
Täter spielt Trump in die Hände
Das Attentat von Orlando könnte den Präsidentschaftswahlkampf wesentlich beeinflussen, vermutet die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Appelle, jetzt nicht überhastet kollektive Schlüsse zu ziehen, dürften weitgehend verhallen. Donald Trump, der Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei, hat längst wissen lassen, wie er in Zeiten des islamistischen Terrors am liebsten mit Muslimen verfahren würde: Einreiseverbot. Zwangsausreise? Internierung? Viele Amerikaner werden Trumps Auslassungen nicht mehr als Geschwätz abtun, sondern in ihrer Ratlosigkeit dem radikalen Einflüsterer zustimmen, selbst wenn der weder die Werte der Vereinigten Staaten noch deren Recht auf seiner Seite hat. ... Selbst wenn es sich um 'home grown terror' handelte, wären internationale Weiterungen nicht auszuschließen. Der Tag, an dem der 'Sonnenscheinstaat' in Blut ertrank, dürfte Schatten werfen, die über die Präsidentenwahl im November hinausreichen.“
Der pervertierte Triumph des Individuums
In Orlando hat sich wieder einmal eine neue Form des Terrorismus offenbart, meint das Webportal Protagon:
„Es ist nicht das erste Massaker. Es wird auch nicht das letzte sein. Und es wird uns helfen zu verstehen, dass wir es nicht mehr mit dem Krieg der Kulturen zu tun haben, sondern mit einem Guerillakrieg in Form einer Psychose, die einsame, obsessive Seelen besetzt hat. Egal, wie viele Raketen man auf die Köpfe der Dschihadisten wirft, im Keller der westlichen Metropolen werden heilige Eide der Rache und der Bestrafung der Ungläubigen geschworen. Jetzt steht der Westen einzelnen Personen gegenüber. Und ja, in einer pervertierten Version ist es der Triumph des Individuums. Es reicht eine Person, ein völlig unbekannter und einsamer Mann. Nicht, um die Geschichte zu verändern, sondern um diese mit dem Blut unschuldiger Menschen zu schreiben.“
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