Sind die Tage für Syriza gezählt?
Auf dem Syriza-Parteitag in Athen hat das Linksbündnis seinen Vorsitzenden Alexis Tsipras mit großer Mehrheit im Amt bestätigt. In seiner Rede zeigte er sich kämpferisch und kritisierte die von den Geldgebern verlangte Sparpolitik. Die zur Schau gestellte Einigkeit kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Umfragewerte sinken und die Unzufriedenheit der Griechen wächst, befinden Journalisten.
Nichts als gegenseitiges Schulterklopfen
Der Parteitag ließ jegliche Selbstkritik vermissen, tadelt Naftemporiki:
„Es gab keine kritischen Stimmen und auch keine Forderung nach Rechenschaft für die politischen Entscheidungen und Manipulationen, die das Land seit der Unterzeichnung des dritten Memorandums in den jetzigen Alptraum geführt haben. Es wurde auch kein schlüssiger Plan für die Zukunft formuliert. ... Nichts davon wurde in dieser Show-Veranstaltung erwähnt. Stattdessen gab es Narzissmus, und man hat sich selbst gelobt für den 'starken Widerstand' gegen die Erpressung und die Drohungen mit einer Pistole an der Schläfe beim angeblichen Coup [im Juli 2015 nach dem Referendum].“
Vom Saubermann zur Hassfigur
Alexis Tsipras kämpft ums politische Überleben, glaubt die Türkei-Korrespondentin des griechischen Fernsehsenders ERT, Ariana Ferentinou, in Hürriyet Daily News:
„Drei Monate vor ihrem zweiten Jahrestag hat sich die linke Syriza-Anel-Regierung genug politische Feinde zugelegt, um sich unwohl zu fühlen. Die Bevölkerung leidet unter neuen Sparmaßnahmen. Griechen, deren Einkommen durch starke Besteuerung und gekürzte Gehälter drastisch gesunken sind, könnten nach politischen Alternativen suchen. Die Opposition bereitet sich bereits auf mögliche Neuwahlen vor. Für sie trägt Tsipras die Hauptschuld: Er wird als Führer gesehen, der nicht zu seinen Versprechen steht, die Bevölkerung im Stich gelassen hat, mit Brüssel Kompromisse einging und dem Land ein neues, strikteres - aber bisher ineffektives - Rettungspaket aufdrückte. Zu Beginn ein junger, vielversprechender, sauberer Politiker, entwickelte er sich in Richtung Unehrlichkeit und Populismus.“
Dramatischer Vertrauensverlust
Die gigantischen Probleme, denen sich Griechenland gegenüber sieht, sind der Grund für Tsipras' wachsende Unpopularität, analysiert El País:
„Laut Umfragen muss die Regierung in Griechenland dramatische Stimmenverluste hinnehmen und die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen ist durchaus realistisch. Dies zeigt, dass das Nichteinhalten unhaltbarer Wahlkampfversprechen die Bürger frustriert. Frustriert sind sie außerdem, weil es für festgefahrene Probleme, die Dialog brauchen statt kecker Vorschläge, keine einfachen und schnellen Lösungen gibt. ... Aber stärker noch als unter den wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten - denn daran sind die Griechen leider gewöhnt - leidet Syriza unter der Krise im Umgang mit den Flüchtlingen und einem umstrittenen Fernsehgesetz von zweifelhafter Verfassungskonformität. [bei einer Auktion von Fernsehlizenzen wurde die Zahl der privaten Sender von acht auf vier halbiert]“