Was ist die Botschaft des Trauerakts für Kohl?
Mit zwei Zeremonien in Straßburg und Speyer haben Politiker, Freunde und Wegbegleiter von Helmut Kohl Abschied genommen. Es war der erste europäische Staatsakt für einen verstorbenen Politiker. Zur Trauerfeier im EU-Parlament war der Sarg mit einer Europaflagge bedeckt. Ein Blick in Europas Presse zeigt, dass diese Zeremonie viele bewegte, aber ganz unterschiedlich gedeutet wurde.
Mehr als ein Echo vergangener Zeiten
Als Mahnung an das heutige Europa möchte De Volkskrant die Zeremonie in Straßburg verstehen:
„Hoffentlich wird der europäische Trauerakt für Kohl von den europäischen Bürgern nicht als Relikt betrachtet, als Echo einer längst vergangenen Ära. Er sollte an die Fundamente der europäischen Zusammenarbeit erinnern. Inzwischen kennen wir die Kehrseite von Kohls großem Projekt. So leidet zum Beispiel der Euro unter Problemen, die nicht mit visionären Reden zu lösen sind. Und eine Europäische Union mit 27 Mitgliedsstaaten lässt sich nicht so einfach leiten wie ein viel kleinerer Club gleichgesinnter Länder. Doch Kohls Projekt lotste Europa in eine neue Ära, mit neuen Problemen und neuen Herausforderungen. So dringend wie damals brauchen wir auch heute staatsmännische Führung und europäische Politiker, die in der Lage sind, strategisch zu denken.“
Feiert sich das deutsche Europa?
Eric Bonse bezweifelt jedoch auf seinem Blog Lost in Europe, dass der Trauerakt der europäischen Einigung einen neuen Schub geben wird - das Gegenteil könnte der Fall sein:
„Engländer oder Griechen könnten die Zeremonie als Hohe Messe für das deutsche Europa missverstehen, in der 'Kaiser Kohl' oder 'Königin Merkel' geehrt werden. Manch einer dürfte sich auch darüber wundern, dass es keinen deutschen Staatsakt gibt, sondern nur einen europäischen - ganz so, als sei Deutschland die EU. ... Wieviel Deutschland verträgt die EU? Vielleicht ist das die falsche Frage. Wieviel Merkel verträgt Europa, das könnte es treffen.“
Schauspiel mit Todesengel
Auch Birgün zeigt sich skeptisch und kann dem Erbe Kohls ebenso wie der Trauerfeier wenig Positives abgewinnen:
„Kanzler Kohl hat wirklich eine starke EU gegründet, aber das war keine EU der Völker, sondern eine EU der Kartelle, der Konzerne und der Deutschen Mark. Es war ein ultra-liberales Europa, dessen Fundamente heute wanken. Deshalb erweckte die Trauerzeremonie in Straßburg auch ein wenig den Eindruck, als versuchten alle, den Todesengel zu vertreiben, der herumzugehen schien. Sie war unaufrichtig und geistlos. ... Zusammengefasst erlebte Straßburg an diesem Samstag einen historischen Tag. Die Größen Europas führten in der EU-Hauptstadt ein Schauspiel auf, das in die Geschichte eingehen wird. Alle waren da. Nur die Volksvertreter nicht.“
Kohl sehr frei interpretiert
In den Trauerreden wurde Kohls Vermächtnis wiederholt so dargestellt, wie es Politiker heute gerne sehen, kommentiert Lidové noviny:
„Angela Merkel etwa, Kohls Nachfolgerin an der Spitze der CDU, erinnerte an seine Rolle bei der Einigung West- und Osteuropas und der Öffnung der Grenzen. Doch was war damals Kohls Absicht? Ihm ging es um den Abbau von Kontrollen im Schengenraum, die Außengrenzen aber wollte er geschützt sehen. ... Deutschland hat allerdings 2015 die Grenzen ohne Rücksicht auf Schengen geöffnet. Kohl warnte vor einem Jahr, Europa könne nicht Millionen Flüchtlinge aufnehmen und zur neuen Heimat von Millionen Notleidenden aus aller Welt werden. Heute biegt sich jeder Kohls Worte zurecht, als wäre man im Selbstbedienungsladen.“