Welche Strategie verfolgen Kataloniens Separatisten?
Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont hat die Abspaltung von Spanien ausgesetzt. In seiner Rede vor dem Regionalparlament sagte er, die Unabhängigkeitserklärung werde verschoben, um Raum zu schaffen für einen Dialog mit Madrid. Für einige Kommentatoren ein Schritt in Richtung Versöhnung, sehen andere darin genau das Gegenteil.
Nicht auf Erpressungsversuch eingehen
Für El País stellt der Aufruf Puigdemonts lediglich einen weiteren Erpressungsversuch der katalanischen Separatisten dar:
„Viele werden heute der Versuchung erliegen, sich an der vorläufigen Aussetzung der Unabhängigkeitserklärung und Puigdemonts Aufruf zum Dialog festzuklammern. Auch die Frustration des [linksextremen] Koalitionspartners CUP und ihrer separatistischen Anhänger bestätigt scheinbar die Verhandlungsbereitschaft von Puigdemont und [dem dritten Koalitionspartner] Junqueras [von der linksseparatistischen Partei ERC]. Aber alle sollten sich die Verwirrung vor Augen führen, die Puigdemont ausgelöst hat. Sie gehört zur Strategie der Separatisten und beinhaltet kein ehrliches Angebot, wieder zur verfassungsrechtlichen Legalität zurückzukehren und ohne Vorbedingungen zu verhandeln. Es handelt sich vielmehr um ein weiteres Ultimatum, das der Staat keinesfalls dulden kann.“
Jetzt muss Madrid Verantwortung übernehmen
Jetzt ist es an der Zentralregierung, die Konfrontationsspirale zurückzuschrauben, findet Politikwissenschaftler Viriato Soromenho Marques in Diário de Notícias:
„Nach der alles andere als subtilen Art, mit der Rajoy und seine regierende Volkspartei PP auf das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien reagiert haben, hat Puigdemont - im Gegensatz zu dem, was viele erwartet und andere sich erhofft hatten - am Dienstag eine moderate und versöhnliche Rede im Regionalparlament gehalten. Damit hat er Madrid die Verantwortung überlassen, sich zu entscheiden, ob man nun die Spannung erhöht oder verringert. ... Wenn Madrid und Barcelona (mit den jetzigen oder mit neu gewählten Gesprächspartnern) im Stande wären, einen politischen, zivilisierten und friedlichen Dialog zu führen, wäre dies eine gute Aussicht für alle Europäer.“
Es bleibt alles unklar
Auch nach dem Zurückrudern Puigdemonts bleibt die Situation angespannt, analysiert Polityka:
„Das Unabhängigkeitsreferendum wurde als verfassungswidrig, also als illegal bewertet. Und auch die Straße in Spanien hat sich gegen die Unabhängigkeit ausgesprochen. Selbst in Katalonien gingen viele Menschen für den Status Quo demonstrieren. Ein verantwortungsbewusster Politiker kann nicht die Fakten ignorieren und deshalb ist die Aufschiebung der Unabhängigkeit eine Geste guten Willens und der Vernunft. Nur kann [Premier] Rajoy diese Geste als Kapitulation Kataloniens verstehen. Die Situation ist also weiterhin unklar und angespannt. Eins ist sicher: Die katalanische Frage hat auf internationaler Ebene dem Ansehen der Regierung Rajoy und der spanischen Demokratie geschadet. Aber jetzt, nach der Rede Puidgemonts im katalonischen Parlament, gibt es eine Chance, das Image wieder aufzubessern.“
Gefahr der Radikalisierung
Die Aussetzung der Unabhängigkeit ist riskant, warnt Le Courrier:
„Das Risiko für Carles Puigdemont besteht darin, dass die nachlassende Mobilisierung und die Enttäuschung seiner Truppen das gleiche Ausmaß erreichen wie die geweckten Hoffnungen. Nachdem die katalanische Bewegung leere Versprechungen für den Fall einer Unabhängigkeit gemacht hat, lernt sie nun die harte Realität der Machtverhältnisse kennen. Die Unstimmigkeiten zwischen den separatistischen Strömungen könnten wieder heftiger werden und einige zu radikaleren Methoden greifen, da sie sehen, dass sich der demokratische Weg verschließt. Das würde das taktische Nachgeben vom 10. Oktober 2017 zu einem fatalen Rückzieher machen.“
Puigdemont muss erstmal runterkommen
Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont handelt unverantwortlich und emotionsgetrieben, kritisiert Offnews:
„Es ist wunderbar, dass Puigdemont Katalonien liebt, wie er sagt, doch ihm fehlen die rationale Herangehensweise und die Gesprächsbereitschaft, die er sowohl den Katalanen als auch allen Spaniern und Europäern schuldet. Kein einziges europäisches Land hat den überstürzten Separatismus der katalanischen Regierung unterstützt. Nach der Euphorie des verfassungswidrigen Referendums setzt nun die Ernüchterung ein. Es wird immer klarer, dass der Verstand und die Argumente über die Emotionen siegen müssen. Am Sonntag gingen in Barcelona rund eine Million Menschen [sic] auf die Straße. ... Auch sie lieben Katalonien und wollen dennoch ein geeintes Spanien.“