EU-Reform: Ist mit der GroKo der Weg frei?
In Deutschland ist der Weg frei für eine Neuauflage der Großen Koalition. 66 Prozent der SPD-Parteimitglieder, die ihre Stimme abgaben, votierten für den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU. Somit kann sich Angela Merkel am 14. März wieder zur Kanzlerin wählen lassen. Ob damit auch die Chancen für eine grundlegende Reform der EU steigen, untersuchen Kommentatoren.
Alle Hoffnung auf der Achse Merkel-Macron
Nun, wo Deutschland wieder eine Regierung hat, muss die Gunst der Stunde genutzt werden, drängt Le Soir:
„Man hat einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen in Paris, in Brüssel und an all den anderen Orten, wo sich die Europa-Befürworter befinden, die überzeugt sind, dass Europa ohne ein starkes Deutschland nicht weiterkommt. ... Eine Gelegenheit tut sich nun auf, ein kurzes und enges Zeitfenster, das sich für Europa öffnet. Diese Zweier-Konstellation sollte es erlauben, eine Grundsatzreform des europäischen Projekts in Angriff zu nehmen - vielleicht nicht gleich mit Erfolg, aber immerhin. ... Die Achse 'MM' hält den Schlüssel zu der Europa-Reform in den Händen, auf die alle warten. Das einzige, was wir momentan sicher wissen, ist, dass man sich nicht den Luxus erlauben darf, zu warten: Es muss jetzt etwas gewagt werden.“
So geschwächt kann man die EU nicht reformieren
Dass die Große Koalition kein Reformmotor für Europa sein wird, fürchtet allerdings Financial Times:
„Trotz des vorsichtigen Optimismus in Paris wird Berlin vermutlich nicht imstande sein, weitgehende Reformen der Eurozone zu liefern, abgesehen vielleicht von grundlegenden Schritten in Richtung Bankenunion. Deutschland wird wohl auch angesichts des wachsenden Autoritarismus in Mittel- und Osteuropa keine Führungsstärke zeigen und den zunehmenden Herausforderungen durch Russland und die Türkei wenig entgegensetzen können. Unter diesen Umständen wird die EU viel weniger in der Lage sein, die nächste große Krise zu meistern - und es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie kommt. ... Wirtschaftlich sieht es in Europa derzeit gut aus. Politisch sicher nicht.“
Merkel stehen harte vier Jahre bevor
Die mit Mühe gebildete neue, alte Regierungskoalition steht vor gewaltigen Aufgaben, erklärt in der kremltreuen Izvestia der deutsche Politologe Alexander Rahr:
„Für Angela Merkel ist das Wichtigste, dass sie ihre vierte Amtszeit als Kanzlerin gerettet hat. Wenn sie bis zu deren Ende durchhält, wird sie in die Geschichte Nachkriegsdeutschlands eingehen - so wie die anderen Langzeitbewohner des Kanzleramts, Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Andererseits warten auf sie kolossale Probleme: ... Die bröckelnde EU muss gerettet werden, die Beziehungen zu den USA gekittet, der Streit mit der Türkei beigelegt. Und das Verhältnis zu Russland steckt noch immer im Kalten Krieg fest. Die wirtschaftlichen Probleme werden immer größer. Und als Dreingabe könnte es eine neue Flüchtlingswelle geben.“
Gefährliches Gedränge in der Mitte
Kurzfristig ist die Entscheidung der SPD für Deutschland und Europa gut - langfristig nicht unbedingt, glaubt Dnevnik:
„Vielleicht muss man nicht so weit gehen, wie vor kurzem der einflussreiche Historiker Timothy Garton Ash im Guardian, der schon im Titel schrieb, dass die Große Koalition das letzte sei, was Deutschland und Europa jetzt brauchen. Doch seine These, dass das politische Gedränge in der Mitte die Flügel unbesetzt lässt und so den extremen politischen Kräften in die Hände spielt, darf nicht vernachlässigt werden. Seine Warnung muss man ernst nehmen. Umso mehr, als dass es wahrscheinlich ist, dass die Konjunktur bereits ihren Höhepunkt erreicht hat und es noch deutlich vor dem Ende des Mandats der neuen deutschen Regierung einen Abschwung geben wird.“
SPD muss sich jetzt dringend erneuern
Die Probleme in der SPD sind noch nicht bewältigt, glaubt NRC Handelsblad:
„Die SPD hat eine Führungskrise verhindert. Ein 'Nein' der Basis wäre ein Schlag ins Gesicht der gesamten Parteispitze gewesen. Da die SPD jetzt doch wieder mitregieren wird, muss die Partei dafür sorgen, dass sie die Reihen wieder schließt. ... In der SPD ist die Überzeugung weit verbreitet, dass ein neuer, klarer Kurs dringend nötig ist. Die Leute wollen kein 'Weiter so' - das ist die Lehre der schlechten Wahlergebnisse. Wie in Frankreich und den Niederlanden die sozialdemokratischen Schwesterparteien bei den jüngsten Wahlen fast ausgelöscht wurden, war für viele in der SPD ein Schreckensbild.“
Merkel musste Federn lassen
Das vierte Mandat für Merkel ist ein Sieg - jedoch mit bitterem Beigeschmack, erklärt Le Figaro:
„Der Kampf der letzten Monate hat Spuren hinterlassen. Die Kanzlerin musste zusehen, wie sich innerhalb der CDU ein Aufstand formierte. Und auch die jungen Störenfriede in der SPD werden nicht die Waffen strecken. Im Parlament wird ihr die AfD das Leben schwer machen. Es ist nicht zu leugnen, dass Merkel IV geschwächt ist. ... Ihr voriges Mandat wurde von zwei Fehlern geprägt: ihrem mehr als gewagten Umgang mit der Migrantenkrise, und, damit zusammenhängend, dem massiven Einzug der Rechtsextremen in den Bundestag. Davor hatte sie Deutschland als 'gute Familienmutter' geführt - ohne Brillanz und ohne den Mut zu Reformen. Wenn sie Geschichte schreiben will, bleibt Angela Merkel nur Europa: das Projekt, diesem einen neuen Elan zu verleihen, im Tandem mit Emmanuel Macron.“