Vom Fall Skripal zu Kalter-Krieg-Rhetorik
Der Skandal um die Vergiftung des Ex-Doppelagenten Skripal hat eine diplomatische Krise zwischen London und Moskau ausgelöst. Auf die Ausweisung von 23 russischen Diplomaten aus Großbritannien reagierte Russland ebenfalls mit Ausweisungen und der Schließung des britischen Generalkonsulats in Sankt Petersburg. Steht Europa an der Schwelle zu einem neuen Kalten Krieg?
Russland ist zu schwach für einen Kalten Krieg
Ein neuer Kalter Krieg wäre fatal für Russland, meint Wirtschaftswissenschaftler Igor Nikolajew in seinem Blog bei Echo Moskwy:
„Russland sucht die Revanche, weil die UdSSR den Kalten Krieg mit dem Westen verloren hat. ... Doch man sollte die russische Führung daran erinnern, dass nicht das Land und nicht die Menschen diesen ersten Kalten Krieg verloren haben, sondern das System mit seiner Planwirtschaft, die die wachsenden Rüstungsausgaben nicht verkraftet hat. ... Manche sagen hoffnungsvoll, jetzt sei die Wirtschaft ja anders. Stimmt, aber diese Wirtschaft ist strukturell nicht reformiert, sie ist ineffektiv und zudem durch Sanktionen und Gegensanktionen geschwächt. ... Eine solche Wirtschaft hält das nicht durch. Das werden wir nach den Wahlen beobachten müssen, die Probleme werden wachsen. Die Euphorie, die manch einen nach diesem Wahlergebnis erfüllt, wird verfliegen.“
Prag sollte London folgen
Die EU-Außenminister haben sich im Fall Skripal hinter Großbritannien gestellt. Tschechien sollte konkret handeln und russische Spione, getarnt als Diplomaten, des Landes verweisen, meint Respekt:
„Vergangene Woche sind wir von unseren britischen Verbündeten inoffiziell gebeten worden, ebenfalls die Zahl der russischen Spione, die an der Botschaft in Prag tätig sind, zu reduzieren. ... Wir würden uns als verlässliche Partner erweisen und Geheimdienstleute loswerden, von denen es in Prag mehr gibt, als gesund ist. Je mehr von denen gehen, desto besser. Die Aggressivität Russlands wächst und eine Uneinigkeit des Westens können wir uns nicht leisten. Putin geht so weit, wie wir es ihm erlauben.“
Kriegsreden erobern russischen Alltag
An dem Vergiftungsfall in Salisbury kann man ablesen, dass die Stimmung in Russland immer mehr kippt, analysiert Neatkarīgā besorgt:
„Die Welt hat sich in den vergangenen vier Jahren verändert. Sie ist instabiler geworden, die Unsicherheit wird sichtbarer. ... In der öffentlichen Debatte verhält sich Russland immer häufiger wie ein Hooligan. In diversen TV-Shows ist das Gerede über einen möglichen kalten Krieg schon Alltag geworden, so als plaudere man übers Wetter. Putin selbst und die geladenen Talkshow-Gäste sprechen mit Freude über das Kriegsthema. Man erwähnt einen möglichen Krieg mit der gleichen Begeisterung, als wenn man von einer lang erwarteten Feier spricht.“
Die Zeichen stehen auf Konfrontation
Beide Seiten scheinen den Konflikt anfachen zu wollen, analysiert Kommersant:
„Der Moskauer Reaktion nach zu urteilen, glaubt man dort nicht, dass sich der Konflikt mit London alsbald beruhigt, und man setzt - so wie die britische Führung - auf Verschärfung. ... Vieles hängt nun davon ab, ob es London gelingt, seine Alliierten mit in den Konflikt hineinzuziehen und den 'Fall Skripal' zur neuen Krise zwischen Russland und dem Westen zu machen. Entsprechende Anzeichen gibt es. ... Die russische Führung zeigt mit ihrem Verhalten, dass sie diese Perspektive nicht scheut, Londons Herausforderung ist angenommen. ... Beide Seiten werden in einen neuen Kalten Krieg gezogen. Und es scheint, als wären sie davon berauscht.“
Wie ein Kalter Krieg, nur ohne Regeln
Kein Kalter Krieg, sondern schlimmer, so beurteilt EU-Korrespondent Stefano Stefanini in La Stampa die Lage:
„Der Westen - wir Europäer - müssen einen Weg finden, mit einem Putin umzugehen, der sein viertes Mandat in einem Klima der Feindseligkeit beginnt. Der Fall Skripal war nur die Spitze des Eisbergs. ... Dies ist kein Kalter Krieg, denn Russland ist noch fest verankert im Netz der Globalisierung. ... Dies ist schlimmer, weil die Regeln fehlen. Dem Westen bleibt also nur, zu schauen, was für Putin zählt. Putin respektiert Macht und Entschlossenheit und will in Europa und im Atlantischen Bündnis Zwietracht säen. Dialog und Verhandlungen mit Moskau, so unabdingbar sie sind, müssen deshalb mit militärischer Abschreckung und politischer Standhaftigkeit einhergehen. Und vor allem mit europäischer und atlantischer Solidarität. Den Luxus einer Spaltung kann sich der Westen nicht leisten.“
Die Nato stößt an ihre Grenzen
Für The Daily Telegraph ist die Situation gar ein Anlass, an der Nato in ihrer aktuellen Ausrichtung zu zweifeln:
„Unsere gemeinsamen Interessen mit anderen demokratischen kapitalistischen Staaten gehen weit über Europa und den Nordatlantik und sogar weit über den Konflikt mit Moskau hinaus. Wir sollten klar zu Südkorea und Japan stehen, die sich gegen ein atomar aufgerüstetes Nordkorea wehren - und zu Taiwan, das sich vom kommunistischen Festland abgrenzt. Wir sollten außerdem viel leidenschaftlicher mit Israel, diesem Außenposten der stabilen Demokratie im Nahen Osten, zusammenarbeiten. Es ist befremdlich, dass wir in einem Nato-Bündnis mit der Türkei stehen, die sich zu einem autoritären Regime nach dem Vorbild Russlands entwickelt hat.“