Protestfrühling in Frankreich
Eisenbahner und Studierende in Frankreich protestieren derzeit gegen Reformpläne Emmanuel Macrons. Der Streik bei der SNCF hat das Land bereits teilweise lahmgelegt, Universitäten wurden besetzt. Europäische Medien diskutieren, was für den Präsidenten und die französische Gesellschaft auf dem Spiel steht.
Ist Frankreich reformfähig?
Die Regierung darf im Konflikt mit den Eisenbahnern nicht einlenken, mahnt Radio Europa Liberă:
„Die SNCF zählt 150.000 Beschäftigte, die Vorteile genießen, die keineswegs zu vernachlässigen sind: Sie haben einen auf Lebenszeit garantierten Job; ein gutes Gehalt, zu dem noch Prämien und Boni dazukommen; etliche Urlaubstage; eine Gesundheitsversorgung; zudem haben sie die Möglichkeit, schon mit Anfang 50 in Rente zu gehen. ... Zugleich aber ist die Eisenbahngesellschaft defizitär, jeder Reformversuch wird als Angriff auf den hochheiligen 'öffentlichen Dienst' verstanden. Während beim Streik 1995 ein Großteil der Bevölkerung, trotz der Störungen, auf der Seite der Streikenden war, ist die öffentliche Meinung heute deutlich zurückhaltender. Die Regierung will bislang nicht einlenken. Würde sie das tun, wäre das erneut eine Bestätigung des Images, dass Frankreich ein unreformierbares Land ist.“
Monsier le Président ist überall
Die Süddeutsche Zeitung glaubt nicht, dass die Proteste Macron gefährlich werden:
„Der Präsident hat so viele Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, dass die meisten Bürger gar nicht mehr genau wissen, welche davon sie eigentlich gut und welche sie schlecht finden. In dem allgemeinen Durcheinander gibt es nur einen, der den Überblick behält: Monsieur le Président. ... Worüber die Franzosen heute schimpfen, ist morgen schon wieder vergessen. Diese Strategie der Großbaustelle könnte sich gegen Macron wenden, wenn er alle gleichzeitig verärgert und so die Allianzen ermöglicht, von denen seine Gegner träumen. Doch von so einer Einigkeit gegen den Präsidenten ist Frankreich weit entfernt.“
Gewerkschaften kämpfen ums Überleben
Nach der Kaltstellung der politischen Parteien nimmt sich Macron nun die Gewerkschaften vor, beobachtet Le Jeudi:
„Als vorbildlicher Schüler des ungeregelten Kapitalismus sieht Macron nun die Zeit für eine Abrechnung mit den Gewerkschaften gekommen. Für ihn ist dies der zentrale Kampf. Es geht ihm darum, auf möglichst unnachgiebige Weise ein Kräftemessen zu veranstalten, damit sich die Gewerkschaften daran die Zähne ausbeißen. Nur wenn er als Sieger daraus hervorgeht, wird er die Deregulierung der französischen Wirtschaft dauerhaft vorantreiben können. Für die Gewerkschaften bedeutet dies, dass sie die Schlacht gewinnen müssen, wenn sie verhindern wollen, von der soziopolitischen Bildfläche verdrängt zu werden.“
Staat muss seine Autorität durchsetzen
Die französische Regierung muss durchgreifen und die staatliche Ordnung wiederherstellen, fordert Le Figaro:
„Mit der Räumung des Geländes bei Notre-Dame-des-Landes hat die Regierung, die beim Bau des geplanten Flughafens eingelenkt hatte, in Erinnerung gerufen, dass Frankreich ein Rechtsstaat ist. Das Land darf sich sein Gesetz nicht von einer Minderheit diktieren lassen. Nach dem vielfachen Zögern der Präsidentschaft Hollandes muss dies nun dringend klargestellt werden, bevor die Besetzer es wagen, sich weiterer Infrastrukturprojekte zu bemächtigen. Die gleiche Autorität muss in den zu Geiseln gemachten Universitäten und in allen verlorenen Gebieten der Republik zum Einsatz kommen. Auch gegenüber den Eisenbahnern ist sie anzuwenden - natürlich auf andere Weise. Doch es geht um das Gleiche: dem Niedergang eine Absage zu erteilen.“
Gemeinsam Macrons Liberalisierung abwehren
Mediapart veröffentlicht einen bereits von mehr als 100 Wissenschaftlern und Intellektuellen unterzeichneten Gastkommentar, der zu einer Bündelung der Proteste aufruft:
„Wir sind überzeugt, dass diese Kämpfe - zur Verteidigung des zu schützenden Areals [bei Nantes], der SNCF, von wirklich offenen Universitäten und einer wahrhaft humanen Migrationspolitik - miteinander verbunden sind und der gleichen Bewegung angehören. … Emmanuel Macron und seine Regierung haben die letzte Etappe zur automatischen und systematischen Zerstörung der öffentlichen Dienste (und deren Beschäftigten) eingeläutet. Der brutale Reformzyklus zur Liberalisierung dieser Dienstleistungen, der gerade erst beginnt, soll freilich den Weg frei machen für deren Privatisierung. Um ihr Vorhaben umzusetzen, hat es die Regierung vorrangig auf die Bereiche abgesehen, von denen der hartnäckigste Widerstand zu erwarten ist.“