Was ist das Erbe von Karl Marx?
Zum 200. Geburtstag von Karl Marx ist in dessen Geburtsstadt Trier eine Bronzestatue des Denkers enthüllt worden - ein umstrittenes Geschenk aus China. Bei einem Festakt zur Eröffnung mehrerer Ausstellungen betonte EU-Kommissionspräsident Juncker, dass man Marx aus seiner Zeit heraus verstehen müsse. Dass das nicht so leicht ist, zeigt ein Blick in Europas Presse.
Marx war kein Marxist
Jean-Claude Juncker warnte in Trier davor, Karl Marx für die Verbrechen des Kommunismus verantwortlich zu machen. Blogger Pitsirikos stimmt ihm zu:
„Jeder sollte verstehen, dass Marx kein Marxist war. Marx war Marx. So wie Jesus Christus kein Christ war. Jesus war Jesus. Ist er verantwortlich für die Verbrechen und Grausamkeiten, die im Laufe der Jahrhunderte in seinem Namen stattgefunden haben? Hunderte von Millionen Menschen wurden im Namen Christi getötet. ... Marx schrieb vor 170 Jahren 'Proletarier aller Länder, vereinigt euch'. Es ist offensichtlich, dass die Proletarier sich nicht vereinigen wollen. Meiner Meinung nach haben sowohl Christus als auch Marx einen großen Fehler gemacht: Sie haben vergessen, dass die meisten Menschen Abschaum sind. Darüber stolpern alle Theorien.“
Er hat der Demokratie zu wenig zugetraut
Marx' Philosophie sollte im Internetzeitalter neu gedacht werden, appelliert Bundespräsident Steinmeier im Tagesspiegel:
„Dieser Moment [der durch die Digitalisierung bedingten Umbrüche] muss nicht in neue Abhängigkeit führen, sondern es öffnen sich ebenso Wege zu mehr Selbstbestimmung und weniger Entfremdung, zu mehr Teilhabe und weniger Ungleichheit. Ob das gelingt, dafür ist eine Größe entscheidend, der Marx stets zu wenig zugetraut hat: die Demokratie nämlich und das Selbstbewusstsein, mit dem wir uns als Demokraten in einer Sozialen Marktwirtschaft die Gestaltung unserer Zukunft zutrauen! Marx sagt: 'Die Ausgeburten ihres Kopfes sind ihnen über den Kopf gewachsen. Vor ihren Geschöpfen haben sie, die Schöpfer, sich gebeugt.' Ich finde: Das Zeitalter von Robotern und Künstlichen Intelligenzen ist ein guter Moment, um Marx das Gegenteil zu beweisen.“
Am Kapitalismus wird nicht gerüttelt
Auch heute könnte man mit Hilfe von Marx' und Engels' Manifest die Gesellschaftsordnung hinterfragen, glaubt Jutarnji list:
„Das Manifest zeigt noch heute, 170 Jahre nach seiner Veröffentlichung, Alternativen zur kapitalistischen Produktion und Gesellschaftsordnung auf. Was die Autoren des Manifests nicht vorhergesehen haben, ist, dass das Kapital in seinem Arbeiter den treuesten Verbraucher finden wird. Mit der Zunahme des individuellen Konsums und dem dazugehörigen Anstieg der materiellen Lebensqualität wird der soziale Frieden erkauft. ... Diskussionen um alternative Produktionsmöglichkeiten werden verzögert. Man weiß, dass die kapitalistische Produktion zu zyklischen Krisen führt, doch sind diese ein Spiegel systematisch unterdrückter Fragen der Gesellschaftsordnung und möglicher Alternativen.“
Es gibt nichts zu feiern
Noch vor Junckers Rede in Trier formulierte der sich selbst als marktliberal bezeichnende Journalist László Seres seine Erwartungen in einem offenen Brief an den Kommissionschef:
„Ich hoffe, es wird in Trier auch um Pol Pot gehen, den Anführer der roten Khmer, der in den 1970er Jahren einen der größten Genozide der Welt durchgeführt hat. ... An ihn und an die Opfer der Gulags des Marxismus nicht zu denken, das wäre wirklich verlogen. Im Vergleich können wir Osteuropäer noch glücklich sein, dass wir aus den 1960er und 1970er Jahren nur den Autoritarismus, einen dummen Konformismus, das Gefühl unterdrückt und ausgeliefert zu sein, die Abhängigkeit vom Staat und den sozialen Neid als Segnung von Marx' Nachkommen überlassen bekamen.“
Einflussreich wie ein Religionsführer
Trotz kritischer Bewertung seines Werks ist der Einfluss des Philosophen laut Den nicht zu unterschätzen:
„Man kann ihn verfluchen als 'Vorboten des Totalitarismus', 'Propheten des Gulag'. Man kann verkünden, dass nicht eine der Vorhersagen von Marx sich bewahrheitete. ... Möglichkeiten, Marx zu bewerten, gibt es mehr als genug. Jedoch sollte man nicht vergessen: Die Rede ist von einer Figur, deren Einfluss auf die Geschichte der Menschheit man im vollen Maße mit dem Einfluss großer religiöser Lehrer Europas und Asiens vergleichen kann und der den Einfluss jeglicher anderer 'reiner Intellektueller' spürbar übersteigt. ... Allein das regt zur Ausgewogenheit des Urteils über Marx an.“
Gewalttätige Ideologie
Die Faszination für den angeblich so humanen Philosophen Karl Marx ist nicht nachvollziehbar, meint PestiSrácok:
„Das offizielle linksliberale Dogma besagt, dass Marx ein sehr rechtschaffener, kluger, mitfühlender Denker war, der nur von seinen Schülern verunstaltet und missverstanden wurde, was dann mit unangenehmen Begleiterscheinungen einherging. ... Das ist insofern richtig, als dass Marx wirklich klüger war als seine geisteskranken, massenmörderischen Nachfolger. Er wies eben nur darauf hin, dass für den proletarischen Sieg auch Morde notwendig sein werden. 'Dem entspricht eine Übergangszeit, in der die Form des Staats nichts anderes sein kann, als eine revolutionäre Diktatur des Proletariats', schreibt er in der Kritik des Gothaer Programms. Ist dieser Nebensatz nicht wirklich dezenter als die blutrünstige Rhetorik und die Taten von Lenin, Stalin, Mao oder Pol Pot?“