Können diese Fußballer Deutschland repräsentieren?
Das Treffen der deutschen Fußball-Nationalspieler Mesut Özil und İlkay Gündoğan mit dem türkischen Präsidenten schlägt noch immer hohe Wellen in der deutschen Öffentlichkeit. Bilder, auf denen die beiden Erdoğan Trikots überreichen, wurden als Wahlkampfhilfe für den AKP-Chef interpretiert. Für Kommentatoren sagt die Episode viel über die Integrationsdebatte in Deutschland aus.
Im Herzen ein Türke
Die türkischen Einwohner der dritten Generation sind im Herzen noch immer Türken, glaubt das rechtskonservative Magazin Demokrata:
„Wenn sich die Dinge so entwickeln, dass sich Deutschlands Einwohner zwischen Deutschland und der Türkei, zwischen der deutschen und der türkischen Kultur entscheiden müssen, welche würden Mesut Özil und Ilkay Gündogan dann wählen? Und wie würden sich die vielen Namenlosen entscheiden? Die Einwanderer der zweiten oder dritten Generation, auf die ihre neue Heimat nicht einmal stolz ist, die sie nicht einmal wahrnimmt, außer wenn sie Kebab kauft? Wie würden sie entscheiden, wenn sie merken, dass sie jetzt die Mehrheit sind und die Geschichte die Richtung einschlägt, in die sie wollen? Und traut sich Deutschland überhaupt, sich diese Frage zu stellen?“
Fußballer sind keine Integrationsbeauftragte
Der Chefökonom der niederländischen ING-Bank in Deutschland, Carsten Brzeski, wundert sich in einer Kolumne für De Tijd über den Streit:
„Vor vier Jahren wurden die Özils, Boatengs und Khediras noch als leuchtendes Vorbild der gelungenen Integration in Deutschland gefeiert. Doch das Problem ist nicht die Integration, sondern dass Fußballer (und andere TV-Stars) ständig gesellschaftliche Vorbilder sein müssen. Spieler der Weltmeistermannschaft wurden in den vergangenen Jahren beim Autofahren ohne Führerschein und Pinkeln in einer Hotel-Lobby erwischt. Damit sind sie vielleicht kein Spiegel der Gesellschaft, aber sicher auch kein Vorbild. Es sind Fußballer, die vor allem eins gut können: Fußball spielen. Fragen zu Integration, Werten und Normen oder zur deutschen Identität müssen von Politikern und einer gesellschaftlichen Debatte geklärt werden.“
Erdoğan bringt den Westen auf die Palme
Die heftigen deutschen Reaktionen auf das Foto spiegeln die Empfindlichkeit des Westens beim Thema Erdoğan wider, erklärt das Internetportal T24:
„In der Türkei wurden in den vergangenen Jahren grundlegende Rechte und Freiheiten ausgesetzt, die wesentlichen Prinzipien der Demokratie und die Regeln der Gewaltenteilung zerstört und so weiter und so fort. ... Deutschland und eigentlich die ganze westliche Welt machen dafür Erdoğan verantwortlich. Im Westen reicht beim Thema Türkei und Erdoğan mittlerweile schon ein unbedeutender Funke, damit der Teufel los ist. Es ist schließlich nur ein Foto. Doch schon ein gewöhnliches Foto wirbelt jede Menge Staub auf. Das ist der traurige Zustand, in dem sich die Türkei derzeit befindet.“
Nationalspieler müssen loyal sein
Wer für Deutschland Fußball spielen will, sollte loyaler sein als Özil und Gündoğan, meint die Berliner Zeitung:
„Nein, wir brauchen in der Nationalelf keine Hurra-Patrioten. Özil und Gündoğan sollten auch nicht dazu dienen, dem wieder aufkeimenden Nationalismus in Deutschland, Europa und dem Rest der Welt weiteren Auftrieb zu geben. ... Nur: Eine gewisse Verbundenheit von Spielern zu dem Land, dessen Trikot sie überziehen und dessen Hymne sie (nicht) singen, darf man erwarten. Eine Nationalmannschaft ist kein Verein, sie ist mehr. In der deutschen Nationalhymne ist übrigens von 'Recht und Freiheit' die Rede; beides gibt es am Bosporus derzeit nicht. Bringen die zwei Gescholtenen diese Verbundenheit nicht auf und schlägt ihr Herz in Wahrheit für die Türkei, sollten sie nicht für Deutschland antreten.“
Nicht die einzigen, die Erdoğan hofieren
Die Kritik an Özil und Gündoğan hat etwas sehr Scheinheiliges, urteilt hingegen Die Presse:
„Es war alles andere als klug von Özil und Gündoğan, sich von Erdoğan für dessen Wahlkampf einspannen zu lassen. ... Unter seiner Herrschaft wurden zahllose Journalisten, Oppositionspolitiker und andere unliebsame Personen unter fadenscheinigen Vorwürfen verhaftet. Die Türkei entfernt sich immer weiter von demokratischen und rechtsstaatlichen Standards. Zugleich hat die Kritik, die jetzt in Deutschland an Özil und Gündoğan aufflammt, aber etwas sehr Scheinheiliges an sich. Die beiden Fußballer werden dafür gescholten, 'einen Despoten' hofiert zu haben. Die Armee desselben Despoten erhielt bis zuletzt Waffen und Material aus deutschen Rüstungsfirmen. Und mit dem Despoten werden politische Verhandlungen geführt.“