Europa bei Bürgern beliebt wie nie?
Ein Jahr vor der Wahl zum Europaparlament hat die Zustimmung der Bürger zur EU einen Rekordwert erreicht: Mehr als zwei Drittel der EU-Bürger sind laut neuestem Eurobarometer der Ansicht, dass ihr Land von der Mitgliedschaft in der Union profitiert. Europas Medien freuen sich über dieses Ergebnis, zeigen jedoch auch, dass nicht überall eitel Sonnenschein herrscht.
Zu viele finden sich in EU nicht wieder
Ganz anders bewertet hingegen der rumänische Dienst der Deutschen Welle die Ergebnisse. Das Medium sieht einen Beweis, dass sich viele Europäer ignoriert fühlen:
„Beim Schlagabtausch mit Frankreichs Präsident Macron im EU-Parlament sagte EVP-Fraktionschef Weber, dass einer der Gründe, warum sich Europa keiner großen Anziehungskraft erfreue, sei, dass sich die Menschen nicht beteiligt fühlten und das europäische Projekt wie von außen aufgedrückt wirke. Die Beobachtung kam überraschend, weil sie nicht von einem euroskeptischen Politiker kam. ... Das am Mittwoch veröffentlichte Eurobarometer zeichnet davon ein ziemlich überzeugendes Bild. ... Die Zahl derjenigen, die sich an Europa beteiligt fühlen, ist im Vergleich zum Zeitraum 2012 bis 2016 zwar deutlich gestiegen, doch bleibt sie mit 48 Prozent bei unter der Hälfte der Bürger, während sich auf der anderen Seite 46 Prozent ignoriert fühlen.“
Europäer wollen keinen Populismus
Für die Lösungsvorschläge der Populisten gibt es keine Mehrheit, interpretiert Helsingin Sanomat das Ergebnis:
„Bei Gefahr von außen schließen Menschen in der Regel ihre Reihen und suchen Schutz bei den eigenen Truppen. Die Populisten haben zur kulturellen Identifikation Auswahlkriterien für eine möglichst kleine Gruppe angeboten: die eigene Nationalität und die eigene Hautfarbe. ... Dieses Angebot reicht den Bürgern laut Eurobarometer aber nicht. ... Auf globale Bedrohungen kann man mit nationalen Maßnahmen nicht glaubwürdig reagieren. Nötig ist stattdessen eine überstaatliche Zusammenarbeit, die nicht auf Handelsbeziehungen beschränkt werden kann. ... In den letzten Jahren haben die Parteien zu oft dorthin geschaut, wo die lautesten Anti-EU-Stimmen herkamen. Der Umfrage zufolge ist die große Mehrheit der Wähler aber nicht dort und akzeptiert auch nicht die Krachmacher.“
Osteuropas Enthusiasmus kommt nicht von ungefähr
Hohe Vertrauenswerte für die EU in einigen osteuropäischen Ländern sagen eher etwas über die Inkompetenz der einheimischen Politiker aus, vermutet Politikwissenschaftlerin Rūta Svarinskaitė in Alfa:
„Dem litauischen Parlament vertrauen sehr wenige (16 Prozent), da ist Litauen auf dem drittletzten Platz. Ein Paradox: Litauer, die der eigenen politischen Macht nicht vertrauen, sind Europa-Enthusiasten. Laut dem Eurobarometer vertrauten 2017 65 Prozent von ihnen der EU. Ähnlich ist es in Lettland und bei ein paar anderen EU-Frischlingen wie Bulgarien, Rumänien und Kroatien. Ist das stabile Vertrauen in die EU ein Zeichen dafür, dass wir den EU-Werten herzlich zustimmen? Oder zeigt es eher das Misstrauen in unsere eigenen Politiker und den Wunsch, dass die EU-Fachleute unsere Inkompetenz ausgleichen?“
Unzufriedenheit der Griechen nicht ignorieren
In der jüngsten Eurobarometer-Umfrage zeigt sich die Mehrheit der Griechen unzufrieden mit der Wirtschaftsentwicklung des Landes. Dafür tragen Athen und Brüssel gemeinsam die Verantwortung, findet Kathimerini:
„Wenn nur zwei Prozent der befragten Griechen sagen, dass sie mit dem Verlauf der Wirtschaft zufrieden sind, gibt es ein Problem. Da diese zwei Prozent in dem gleichen wirtschaftlichen Umfeld wie die Deutschen leben, die zu 91 Prozent mit der Wirtschaftsentwicklung ihres Landes zufrieden sind, dann hat nicht nur Griechenland das Problem, sondern auch die EU. Denn sie unterstützt mit allen Kräften die derzeitige griechische Regierung und deren Wirtschaftspolitik. Und jetzt steht sie einer [griechischen] Gesellschaft gegenüber, der die Luft zum Atmen fehlt.“