Wie steht Europa nach dem G7-Eklat da?
Donald Trump hat denG7-Gipfel in Kanada mit einem Debakel enden lassen. Nach seiner Abreise annullierte der US-Präsident via Twitter seine Zustimmung zu der Abschlusserklärung für einen fairen Handel - unter anderem mit Verweis auf Kanadas Einführung von Gegenzöllen. Für Europas Presse stellt sich nun die Frage, ob der Kontinent sich von den USA unabhängig machen kann.
Trump zwingt Deutschland zum Umdenken
Als Reaktion auf Trumps Verhalten beim G7-Gipfel hat Kanzlerin Merkel in einem TV-Interview am Sonntag für ein geeinigtes, starkes Europa geworben. Der Blogger Pitsirikos sieht darin einen Hoffnungsschimmer:
„Es gibt nun einen stärkeren Spieler als Deutschland, und sofort kann man die Nacktheit von Deutschland und der Europäischen Union erkennen. So seltsam es auch erscheinen mag, Trumps wirtschaftlicher Protektionismus könnte für die Europäische Union von Vorteil sein. ... Deutschland bekommt Ohrfeigen aus den USA und erkennt, dass es auch die anderen Länder der Europäischen Union braucht, um reagieren zu können. ... Ich denke, wir alle sehen eine Veränderung in der Einstellung Deutschlands. Trump bewirkt Wunder. Trump kann die Europäische Union retten.“
Merkel und Macron sind Schaumschläger
Europa kann sich gar nicht von den USA unabhängig machen, erklärt Wpolityce.pl:
„Entgegen dem, was Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron sagen (beide wollen sich der immer unbequemeren Hegemonie der USA entgegenstellen und weniger abhängig von Amerika sein), gibt es keine reale Alternative zur transatlantischen Bindung. ... Die EU ist vielleicht der größte Handelsblock der Welt, aber geopolitisch spielt sie keine große Rolle. Es gibt auch keine andere Großmacht, mit der die Europäer genug Interessen teilen, damit sie die USA ersetzen könnte. China und Russland sind zurzeit keine Alternative. ... Die USA sind weiterhin der Garant für die Sicherheit Europas. ... Die Ankündigungen Merkels und Macrons über Vergeltung und Selbstständigkeit sind also nicht mehr als Schaumschlägerei.“
Der Westen ist zu reich, zu alt und zu ängstlich
Der Westen gibt derzeit ein desaströses Bild ab, findet Le Figaro:
„Der markanteste Aspekt dieses G7-Treffens ist die Unfähigkeit der westlichen Staatsoberhäupter, strategisch zu denken. ... Europäer und Nordamerikaner haben sich in ihren kleinen wirtschaftlichen Streitigkeiten festgefahren und scheinen unfähig, ihren Horizont für die großen Themen von Krieg und Frieden zu öffnen. Wer zählt noch auf sie, um die ethisch-religiösen Konflikte überall auf der Welt einzudämmen? Es sieht alles so aus, als ob die westlichen Länder - Abkömmlinge der Konsumgesellschaft - zu reich geworden sind, zu alt und zu ängstlich, um den wirklich wichtigen Fragen ins Auge zu blicken. Die sind immer religiös, sozial, kulturell und ideologisch.“
Die Antwort auf Trump heißt TTIP
Trumps Forderung, die G7 solle untereinander alle Zölle und Subventionen abschaffen, sollte ernst genommen werden, erklärt die Neue Zürcher Zeitung:
„Es gibt … mehr als genug Gründe, in Trumps Vorschlag ein kaum ernst gemeintes, billiges Ablenkungsmanöver zu sehen. Dennoch wäre es schade, diesen Vorschlag in Bausch und Bogen zu verwerfen. Was sich derzeit abspielt, ist nämlich brandgefährlich, protektionistisch und droht in einen regelrechten Handelskrieg zu münden ... [Die G-7 täte] tatsächlich gut daran, sich auf den Nutzen eines umfassenden plurilateralen Freihandelsabkommens in ihrem Kreis zurückzubesinnen. ... [E]inen geeigneten Rahmen dafür gibt es schon. Er heisst Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, zu Englisch abgekürzt TTIP.“
Selbstbewusst die Zölle senken
Noch weiter geht die Frankfurter Allgemeine Zeitung und empfiehlt, die Zölle zu senken -
„nicht als Zugeständnis an Trump, sondern weil es uns in langer Perspektive nützt – und noch dazu bei den Autos recht risikolos wäre: Modelle, die in Europa reißenden Absatz fänden, hat die amerikanische Industrie ohnehin nicht anzubieten. Wenn ihnen dazu nichts mehr einfällt, kommen die Verfechter der harten Linie mit einem letzten Argument ... : Was Europa den Amerikanern gewährt, darf es nach internationalen Handelsregeln anderen nicht vorenthalten, zum Beispiel den Japanern. Ja, und? In wenigen Jahren werden auch hier die Zölle wegfallen, genauso könnte man es mit den Amerikanern machen. ... Die Europäer würden Trump gegenüber nichts opfern. Sondern nur ganz selbstbewusst etwas tun, von dem sie ohnehin immer sagen, dass es allen Seiten nur nützt.“
Neue Allianzen ohne USA
Nun helfen nur Handelsabkommen ohne die USA, findet Financial Times:
„Die G6 und andere ähnlich gesinnte Staaten müssen sich, wann immer dies möglich ist, zusammentun, um dem Protektionismus zu widerstehen. Sie sollten versuchen, Trump zu umgehen, indem sie Handelsabkommen unterzeichnen, die die USA ausschließen und die das System der globalen Zusammenarbeit so gut es geht funktionsfähig halten, bis im Weißen Haus hoffentlich wieder die Vernunft einkehrt. Das vergangene Wochenende hat eine Welt in Unordnung gezeigt, in der die USA ihre Verantwortlichkeiten abgelegt haben. Der Rest der Welt sollte die entsprechenden Konsequenzen ziehen.“
Empörung bringt gar nichts
Dass Trumps Kritiker ihm bislang nicht viel entgegenzusetzen haben, beschäftigt De Morgen:
„Amerikaner, die Trump wählten, halten Trudeau und Merkel genauso für Dummköpfe und können nicht genug bekommen von den Tweets, in denen ihr großer Führer von der Airforce One aus die übrigen westlichen Führer als naive Bäume-Umarmer abqualifiziert. ... Mehr als ein Jahr nach seiner Vereidigung hat Trump seine Kunst, vielen amerikanischen Wählern zu gefallen, sie zu amüsieren und stolz zu machen, nur noch weiter perfektioniert. Seine Gegner im In- und Ausland perfektionierten vielleicht ihre Empörung, aber viel weiter ist die Gegenbewegung vorläufig noch nicht gekommen.“